TS 13: Slan
1. Kapitel
Die Hand seiner Mutter, die mit zartem Druck die seine umklammerte, war kalt.
„Sie folgen uns, Jommy“, telegraphierte ihr Gehirn. „Sie sind sich ihrer Sache nicht sicher, aber sie haben einen Verdacht. Wir haben es einmal zu oft riskiert, in die Stadt zu kommen, obgleich ich gehofft hatte, daß ich dir dieses Mal den alten Geheimweg der Slans in die Katakomben zeigen könnte, wo das Geheimnis deines Vaters versteckt ist. Jommy, du weißt, was du tun mußt, wenn das Schlimmste passieren sollte. Wir haben es oft genug zusammen geübt. Und, Jommy, habe keine Angst – werde nicht aufgeregt und nervös. Du bist zwar erst neun Jahre alt, aber deine Intelligenz entspricht derjenigen jedes fünfzehn Jahre alten menschlichen Wesens.“
Habe keine Angst! Schnell gesagt, dachte Jommy und verbarg den Gedanken vor ihr. Sie durfte nicht erfahren, daß auch er sich fürchtete.
Außerdem war es neu und aufregend. Er fühlte sich jedesmal von Erregung durchpulst, wenn sie aus dem ruhigen Vorort, in dem sie lebten, in das Herz von Centropolis kamen. Die großen Parkanlagen, die meilenlangen Fassaden der Wolkenkratzer, das Gewühl der Menschenströme erschien ihm jedesmal noch wunderbarer, als er es sich in seiner Phantasie ausgemalt hatte. Hier war der Sitz der Regierung. Hier lebte irgendwo Kier Gray, der absolute Diktator des ganzen Planeten. Vor langer Zeit hatten die Slans während ihrer kurzen Blütezeit in dieser Stadt geherrscht.
„Jommy, fühlst du ihre Feindseligkeit?“
Er konzentrierte sich angestrengt auf seine Umgebung. Der stetige Ansturm undeutlicher, verworrener Gedanken aus den vorübereilenden Menschenmassen wurde in seinem Gehirn zu einem lärmenden Wirbel. Von irgendwoher kam der verirrte Gedankenfetzen:
„Man sagt, es gibt noch immer lebende Slans in der Stadt, trotz aller Sicherheitsmaßnahmen. Sie werden ohne Warnung erschossen.“
„Aber ist das nicht gefährlich?“ kam ein zweiter Gedanke, zweifellos eine laut gestellte Frage, obgleich Jommy nur das geistige Bild erhaschte. „Ich meine, irrtümlicherweise könnte dabei eine völlig unschuldige Person getötet werden.“
„Deswegen schießen sie selten sofort. Sie versuchen zunächst, sie zu fangen, um sie dann zu untersuchen. Ihre inneren Organe sind anders als die unsrigen, und auf ihren Köpfen haben sie …“
„Jommy, kannst du sie fühlen, etwa einen Häuserblock hinter uns? In einem großen Wagen! Sie warten auf Verstärkung, die uns von vorn den Weg abschneiden soll. Sie arbeiten rasch. Kannst du ihre Gedanken hören, Jommy?“
Er konnte es nicht! Die reifen Kräfte seiner Mutter überstiegen seine ungeübten, schwachen Instinkte.
Die Gedanken seiner Mutter drangen wieder in sein Bewußtsein: „Jetzt sind auch einige vor uns. Du wirst gehen müssen, Liebling. Vergiß niemals, was ich dir gesagt habe. Du lebst nur für eine Sache allein: Alles dafür zu tun, daß die Slans eines Tages wieder ein normales Leben führen können. Viel Glück, Jommy.“
Erst als sie nach einem raschen Druck seine Hand losgelassen hatte, erkannte Jommy, daß sich der Tenor ihrer Gedanken verändert hatte. Die Furcht war verschwunden. Eine beängstigende Ruhe entströmte ihrem Gehirn, beruhigte seine zuckenden Nerven und verlangsamte das Hämmern seiner beiden Herzen.
Als Jommy in die Deckung schlüpfte, die ein vorübergehendes Ehepaar bot, sah er einige Männer auf die hohe Gestalt seiner Mutter zustreben. Die Männer überquerten die Straße, und auf ihren Gesichtern lag der finstere Ausdruck einer unangenehmen Aufgabe, die getan werden mußte. Haß entströmte ihren Gehirnen wie ein dunkler Schatten und traf auf Jommy.
Ein Wagen schoß zum Bordstein heran. Eine rauhe Männerstimme rief hinter Jommy her: „Stop! Dort ist der Junge. Laßt ihn nicht entkommen! Haltet den Jungen auf!“
Leute blieben stehen und starrten. Und dann war er um die Ecke und jagte die Capital Avenue entlang. Ein Wagen fuhr an und entfernte sich vom Bordstein. Seine Füße hämmerten in wilder Schnelligkeit auf das Pflaster. Die anomal starken Finger packten die hintere Stoßstange des Wagens. Er riß sich mit einem Ruck seiner Arme hinauf und klammerte sich fest, als der Wagen in den Verkehrsstrom einbog und an Geschwindigkeit gewann. Von irgendwo hinter ihm kam der Gedanke:
„Viel Glück, Jommy!“
Neun Jahre lang hatte sie ihn pausenlos für diesen einen Moment geschult, aber etwas würgte in seiner Kehle, als er erwiderte: „Viel Glück,
Weitere Kostenlose Bücher