Giftpilz
sich in die Rolle des Pergel-Bülow’schen Opfers.
Als ehemaliger Rettungsassistent bei den Maltesern hätte sich
Hubertus auch nach all den Jahren einen Einsatz als Ersthelfer zugetraut. Doch
wie war es um Pergel-Bülows Erste-Hilfe-Kenntnisse bestellt? Hummel wusste,
dass dieser unzählige Seminare in ayurvedischer Ernährung, Rückführungen in
frühere Leben und Partnerschafts-Wochenenden, um die weibliche Seite in sich zu
entdecken, belegt hatte. Doch mit keiner dieser Weiterbildungen war in der
akuten Notsituation viel anzufangen …
Immerhin: Der Nachbar brachte Hummel unter weiteren Mutmachfloskeln
in eine stabile Seitenlage und wies seine mittlerweile herangetrippelte Frau
an, den Rettungsdienst zu benachrichtigen. Na endlich!
Doch dann ging es ans Eingemachte. Hummels üppige Figur, die er
selbst als »stattlich« bezeichnete, bereitete Pergel-Bülow ganz offenbar
gewisse Schwierigkeiten. Er tastete nach dem Puls: am linken Arm, dann am
rechten Arm, sogar an den Beinen und der Halsschlagader suchte er. Doch die
Suche war wohl vergeblich. Mit einem Blick auf Hummels schmerzenden Brustkorb
schien der Nachbar feststellen zu wollen, ob sich da überhaupt noch etwas hob.
Das offenbar negative Resultat seiner Analyse bewegte Pergel-Bülow dazu, möglichst
rasch zu handeln.
Zu Hummels Entsetzen öffnete sich über seinem Gesicht Pergels Mund.
Wie ein Saugnapf umhüllten die leicht wulstigen Lippen Hubertus’ Nase. Der war
nun so hellwach und klar bei Sinnen, dass er einen letzten Entschluss fasste:
So würdelos durfte er nicht sterben. Er nahm also all seine Kraft zusammen und
versuchte, einen Schrei loszulassen. Das, was aus Hubertus’ Mund kam, als der
Ersthelfer den ersten Atemstoß in die Nase abgegeben hatte, war immerhin ein
Röcheln.
Nun müsste doch selbst ein Pergel-Bülow kapieren, dass Hummel noch
lebte!
Offenbar nicht, denn der drückte seine Hand noch fester auf
Hubertus’ Mund. Nein, der Nachbar war wirklich kein Großmeister der Ersten
Hilfe.
Mit letzter Kraft presste Hummel ein Wimmern hervor.
Pergel-Bülow hörte es und sah erleichtert aus, ja, fast ein wenig
stolz.
Dem Mann, dem die Rettungssanitäter mit Martinshorn und
Blaulicht zur Hilfe eilten, schien es sehr schlecht zu gehen. »Bewusstlose
Person im Garten«, hatte die Leitstelle gefunkt.
Als die Sanitäter aus dem Fahrzeug stiegen und sich über den Mann in
der grünen Gartenschürze beugten, murmelte der bloß: »Keine Küsse von …
Pergel-Bülow!« Dann lächelte er sanft, fast etwas entrückt, und schloss die
Augen. Die Sanitäter konnten Pergel-Bülow gerade noch rechtzeitig davon abbringen,
den Nachbarn erneut zu reanimieren. »Der Patient atmet doch!«, rief der Fahrer
des Rettungswagens.
Zehn Minuten später hatten die Sanitäter Hummel nach Eintreffen des
Notarztes und der Stillung der Blutung am Kopf eine Infusion angelegt und ihn
auf einer Trage in den Krankenwagen geschoben. Pergel-Bülow glühte immer noch
vor unbändigem Stolz, war er doch felsenfest davon überzeugt, Hubertus gerettet
zu haben. »Das war doch gar nichts Besonderes«, sagte er, ohne dass die
Sanitäter ihn danach gefragt oder ihm wenigstens einen Pokal mit der Aufschrift
»Lebensretter« überreicht hätten. »Du schaffst es, Hubertus«, rief er dem
Nachbarn euphorisch hinterher.
2. DREIBETTZIMMER
Hummel musste lange geschlafen haben. Als er aufwachte,
schimmerte bereits ein goldener Sichelmond über den Wipfeln der
Schwarzwaldtannen. Vom Fenster des Krankenzimmers aus wanderte sein Blick auf
die Gesichter seiner lieben Verwandten. Martina wippte seinen Enkel Maximilian
auf dem Arm. Hubertus’ Eltern saßen am Kopfende des Krankenbettes. Zur Linken
befand sich seine Nochehefrau Elke, die ihn anlächelte. Zur Rechten seine
Freundin Carolin, die sogar strahlte. So viel Eintracht! Stand es wirklich
schon so schlecht um ihn? Aus den Augenwinkeln sah Hubertus schemenhaft zwei weitere
Betten. Und einen weiteren Menschen neben Elke: Pergel-Bülow – den stolzen
Retter. Nicht schon wieder! Hubertus floh zurück ins Land der Träume.
Der erste Sinn, der sich bei Hummel zurückmeldete, war der
Geruchssinn. Sollte er tatsächlich im Jenseits aufgewacht sein, dann war Gott
ein Anatolier. Denn das, was in seine Nase stieg, war zweifellos der Geruch von
türkischem Essen. Ob es Börek, Kebap oder Pide war, konnte er nicht genau
sagen, zumal die Lider seiner Augen wie mit einer Heißklebepistole miteinander
verbunden schienen. Dafür rührte sich sein
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