Giftspur
handelt.«
»Weshalb?«
»Sport ist Mord, deshalb. Der Mann ist Ende fünfzig, verschwitzt von Kopf bis Fuß, als wäre er dem Leibhaftigen davongerannt, und das in einem viel zu dünnen Dress. Dünner noch als Ihre Kollegin hier.« Er deutete mit rügendem Stirnrunzeln auf Sabine Kaufmann.
»Ich will ihn selbst in Augenschein nehmen«, entgegnete Angersbach, ohne auf die Bemerkung einzugehen.
Die Nidda verlief in sanft geschwungenen Bögen und leckte an matt schimmernden Lehmbuchten. Der Wasserstand war vergleichsweise niedrig. Zwei Handbreit über der Wasseroberfläche erst begann der Bewuchs, einige Papierstreifen und vergilbte Plastikfetzen trübten das Bild. Ruhig und ohne Eile, beinahe lautlos, floss das farblose Wasser vorbei. Nicht ein einziges Tier war zu sehen oder zu hören. Auf der nahe gelegenen Straßenbrücke knatterte ein alter Porsche 911 vorbei, der Fahrer spielte offenbar genüsslich mit den unbändigen Kräften seines Boliden.
Der Tote lag bäuchlings neben dem Radweg im kniehohen, taufeuchten Gras. Er trug ein helles Funktionsshirt, in dessen Taschen man die notwendigsten Gegenstände eng am Körper tragen konnte. Dazu eine Radlerhose, die über den Knien endete. Die größtenteils ergrauten Haare waren im Nacken kurz geschnitten, lagen darüber jedoch dicht und in klebrigen Strähnen. Der Körper wirkte nicht verkrampft, doch das hatte nichts zu bedeuten, wie Angersbach wusste. Selbst tödlich verwundete Soldaten lagen nicht in unnatürlicher Haltung in ihren Schützengräben, auch wenn das Fernsehen einen das immer wieder glauben machen wollte. Es sei denn, der Tod trat von einem Moment auf den anderen ein, aber solche kurzen Sterbeprozesse gab es statistisch betrachtet höchst selten. Nein, der Mann war ins Gras gefallen und nicht wieder aufgestanden. Warum, das sollte dieser Arzt herausfinden.
»Wie lange liegt er Ihrer Meinung schon da?«, erkundigte Angersbach sich.
»Maximal zwei Stunden, würde ich meinen«, gab der Mediziner mürrisch zurück. »Am Hals sind Totenflecken ausgebildet, die Extremitäten sind aber noch nicht ausgekühlt. Die Starre hat sich bislang nur in den Augenlidern entwickelt. Auf eine Entkleidung und vollständige Leichenschau habe ich vorerst verzichtet. Ich werde einen Teufel tun, der Spurensicherung ins Handwerk zu pfuschen. Außerdem ist mir kalt, und ich habe Rufbereitschaft. Soll sich ein anderer darum kümmern. Und ich wiederhole es gerne noch mal, es ist vergebene Liebesmüh. Dieses Gerede von einem Schuss ist Blödsinn.«
»Welcher Schuss?«
Ralph Angersbach wechselte einen schnellen Blick mit Sabine Kaufmann. Wusste sie etwas, was ihm entgangen war?
Diese zuckte mit den Schultern. »Ich weiß auch nichts Konkretes, sorry, angeblich will jemand einen Schuss gehört haben. Aber Dr. Körber fand keinerlei Hinweise auf eine Eintrittswunde.«
»Sie kennen sich also?«, fragte Angersbach leicht gereizt. Er hasste nichts mehr, als an einem Tatort die zweite Geige spielen zu müssen. Oder Fundort, wie auch immer.
»Flüchtig«, bestätigte die Kommissarin. »Irgendwann kennt man eine Menge Mediziner, wenn man in einer so verbrechensstarken Stadt wie Frankfurt arbeitet.«
»Hm. Also noch einmal zu diesem Schuss. Wer hat das gemeldet?«
»Sehen Sie die Frau dort bei den Beamten?«, fragte Sabine mit gedämpfter Stimme und deutete stadtwärts in Richtung einer Baumgruppe, wo eine bieder gekleidete Frau Mitte dreißig stand, an der Leine einen schwarzweißen Border Collie, der unruhig hin und her trappelte. Sie sah in ihre Richtung und traf Angersbachs Blick. Er nickte ihr zu.
»Sie hat den Toten gefunden und gemeldet«, fuhr Sabine fort. »Übergeben wir den Fundort der Spurensicherung? Ich habe noch nicht mit ihr gesprochen.«
»Übernehmen Sie das?« Ralphs Frage klang weniger wie eine Bitte als wie eine Aufforderung, das wurde er erst gewahr, als seine neue Kollegin sich wortlos abwandte und in Richtung der Uniformierten lief.
Mist.
Wie lange kannte er Sabine Kaufmann nun? Ganze fünf Tage. Sie hatte ihre Stelle schon zum ersten Januar angetreten, er hingegen stieß erst zum ersten März dazu. Bis dahin hatte ihn das Präsidium in Gießen gebunden, in dem Ralph Angersbach den größten Teil seines Berufslebens verbracht hatte. Dass er einmal hierherwechseln würde, hätte er noch vor einem halben Jahr mit einem müden Lächeln abgetan. Friedberg, ja, eine adäquate Mittellösung auf halbem Weg zwischen Gießen und Frankfurt. Dort gab es eine echte
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