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Giftspur

Giftspur

Titel: Giftspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Holbe
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sechzehnjährige Halbschwester gleich zu Beginn ihrer Bekanntschaft schmerzlich herausfinden müssen.
    Die Koexistenz der ungleichen Geschwister, deren Alter immerhin sechsundzwanzig Jahre auseinanderlag, hatte erst vor einigen Monaten begonnen. Im Herbst des vergangenen Jahres war Ralphs leibliche Mutter gestorben, eine Frau, die nie eine Rolle in seinem Leben gespielt hatte, geschweige denn die einer Mutter. Sei es aus schlechtem Gewissen oder weil er der Erstgeborene war, jedenfalls hatte sie ihm dieses alte, ziemlich heruntergekommene Haus am Ortsrand von Okarben hinterlassen, in dem sie bis zu ihrem Ableben gewohnt hatte. Und in diesem Haus, als gänzlich unerwarteten Bonus, jenen pubertierenden Teenager, aus deren Höhle die unerträgliche Musik dröhnte.
    Seufzend wandte Ralph sich um und fuhr mit der Hand über die Arbeitsplatte der Einbauküche. Er machte sich keine Illusionen darüber, wer den längst überfälligen Abwasch übernehmen würde, der sich dank einer defekten Spülmaschine längst über die Grenze des Waschbeckens hinaus stapelte. In seiner anderen Hand hielt er die letzte saubere Tasse, der Kaffee darin war nur noch lauwarm, und Ralph kippte ihn kurzerhand in Richtung Ausguss. Gluckernd suchte die schwarze Flüssigkeit sich ihren Weg über Teller, Frühstücksbrettchen und Untertassen, und ein unwillkürliches Schmunzeln durchzuckte seine Mundwinkel.
Fast wie ein Schokoladenbrunnen,
dachte er,
oder die Wasserspiele in den Hängenden Gärten der Semiramis.
Er tauschte das noch lauwarme, tropfende Kaffeepad gegen ein frisches und drückte nach geduldigen Sekunden des Wartens den Knopf, der die giraffenhalsige Maschine in ein tiefes Brummen versetzte.
    Apropos Garten.
Ralph beugte sich ein wenig nach vorn. Die Küche befand sich im ersten Stock des Hauses, sein Blick wanderte über die drei Meter unter ihm liegende Rasenfläche, welche der Vegetation nach eher der Tundra ähnelte. Eine Amsel hüpfte frohlockend aus dem taufeuchten Gras, schüttelte sich und setzte ihren Weg auf den moosgrünen Steinplatten der Terrasse fort. Die Märzsonne stand tief, es war statistisch betrachtet viel zu kalt draußen, aber man konnte ja froh sein, wenn sie sich überhaupt einmal zeigte.
    »Irgendwo musst du anfangen«, murmelte der Kommissar zu sich selbst, als er die Tasse zu seinen Lippen führte und ihm der bittere, aromatische Röstduft in die Nase stieg. Er verspürte keinen Elan, sich durch den Urwald da draußen zu quälen, denn immerhin schien sich dort seit Jahren niemand mehr engagiert zu haben.
    Dann die Spülmaschine.
Wenigstens ausbauen konnte er sie ja schon mal, dafür brauchte es weiß Gott keinen Kundendienstmonteur. Ein funktionstüchtiger Geschirrspüler würde wenigstens einen der Konfliktpunkte zwischen Ralph und Janine entschärfen.
Bleiben noch neunundneunzig andere,
schloss Ralph sarkastisch. Aber eins nach dem anderen.
    Er knöpfte sein Hemd auf und hängte es über den Stuhl, kniete sich vor den Patienten und klopfte mit den Fingerknöcheln die Abschlussleiste ab. Im Grunde wusste er nichts. Nichts über Hausinstallationen, nichts von seiner Halbschwester, nicht einmal von deren Existenz hatte er ja etwas gewusst. Gab es am Ende noch ein Dutzend weiterer Kinder seiner Mutter? Eine oberflächliche Recherche im Präsidium im vergangenen Herbst hatte nichts Konkretes ergeben, aber es war dem Kommissar auch zuwider, seine abenteuerliche Familiengeschichte mit ins Büro zu tragen. Wie hieß es so schön? Dienst ist Dienst und Schnaps ist Schnaps.
    Wie aufs Stichwort meldete sich das Handy. Passanten hatten am Ufer der Nidda eine männliche Leiche entdeckt.
Der Tod kennt keine freien Wochenenden,
dachte Ralph, als er sich ächzend wieder aufrichtete. Er nahm einen großen Schluck aus seinem Porzellanhumpen und schob ihn neben den Geschirrberg.
    »Da hast du gerade noch mal Glück gehabt«, brummte er grimmig in Richtung Spülmaschine.
     
    Keuchend und schweißdurchnässt stand Sabine Kaufmann an einer niedrigen Betonmauer, die linke Ferse auf dem Rand aufliegend und das Bein gestreckt. Sie beugte den Oberkörper nach vorn, strebte mit den Händen in Richtung Zehenspitzen und ächzte leise, als jeder einzelne Muskel der rechten Wade ihr stechend zu verstehen gab, dass die maximale Dehnung nun erreicht war. Sie wechselte das Standbein und wiederholte die Übung. Angeblich sollte man sich weder vor noch nach dem Sport dehnen, hieß es in diversen Internetforen, aber es gab auch genügend

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