Giftspur
natürlich war sie erleichtert, dass Möbs sich nicht auch noch über den Versicherungsschaden eines dienstlich genutzten Privatfahrzeugs aufregen musste.
Philip Herzberg hatte auf dem Weg ins Untersuchungsgefängnis einen nervlichen Zusammenbruch erlitten und musste ärztlich behandelt werden. Seine Vernehmung wurde kurzerhand vertagt, doch keiner der beiden Kommissare erwartete ernsthaft einen Durchbruch. Ein Mann, der alles verloren hatte, was ihm wichtig war. Erst die Frau, dann die Tochter, und schließlich hatte er erfahren müssen, dass besagtes Kind nicht einmal von ihm stammte. Ein Kuckucksei. Und der Kuckuck war Ulf Reitmeyer, ausgerechnet, ein Mann, der sich als Freund der Familie aufgespielt hatte und zugleich sein Arbeitgeber gewesen war. Jeden Tag hatte Herzberg mit ansehen müssen, wie er seine Ex-Frau umgarnte und ihm das Mädchen entriss. Ein Maß an Demütigung, wie es kaum jemand ertragen konnte, und doch schien sich Herzberg mit alldem arrangiert zu haben.
So lange zumindest, bis er erfahren hatte, dass Ulf Claudias Erzeuger war.
Es lag nun an dieser (vermeintlichen) Tochter, ein wenig mehr Licht ins Dunkel zu bringen, und weder Sabine noch Ralph hatten es besonders eilig, den Weidenhof zu erreichen.
Gunnar Volz öffnete ihnen die Tür. Anstatt sich nach draußen zu verabschieden, stapften seine Gummistiefel über den Korkboden in Richtung Wohnzimmer und von dort aus zum Büro. Hinter der offenen Schiebetür erkannte Angersbach Claudia in kauernder Haltung hinter dem Schreibtisch sitzen. Auf die Unterarme gestützt, schien sie in ein Papier vertieft.
Volz räusperte sich, und die junge Frau schreckte hoch. Als sie die Kommissare erkannte, erhellte sich ihre Miene.
»Wir hätten noch einige Punkte zu klären«, eröffnete Ralph behutsam. Unter seinem Arm klemmte der Pappkarton mit den Unterlagen. Claudia nickte langsam.
»In Ordnung«, sagte sie leise. Energischer wandte sie sich an Volz: »Du kannst gehen.«
»Vielleicht sollte ich lieber …«
»Ich sagte, du kannst gehen!«, wiederholte Claudia.
»Hör mal …«
»Raus!«, keifte sie nun, und ihr Zeigefinger schnellte in Richtung Eingangsbereich. Volz gab noch nicht auf und wollte sich an den beiden Kommissaren vorbeidrängen, doch Ralph trat näher an Sabine und schloss die Lücke. Der Knecht versuchte sich daraufhin mit den Händen den Weg zu bahnen, doch Angersbach streckte sich, er war nun einen halben Kopf größer als Volz.
»Sie haben die Hausherrin gehört«, sagte er mit festem Blick.
»Hausherrin, pah!«, stieß Volz hervor. »Lügenbaronin, Sie werden schon sehen.«
»Das werden wir«, lächelte Angersbach kühl, »aber ohne Sie. Muss ich erst meine Kollegen rufen, oder verschwinden Sie jetzt?«
Volz machte sich frei und trat einen Schritt zurück.
»Ist ja schon gut«, murrte er, dann machte er kehrt und verließ das Haus. Knallend fiel die Tür ins Schloss.
»Was war das eben für eine Szene?«, erkundigte sich Sabine bei Frau Reitmeyer, und diese schluckte schwer. Ein kehliges Seufzen erklang, es schien Angersbach, als klänge es befreit oder erleichtert. Eine Vermutung, die er schon länger hegte, erhärtete sich.
»Werden Sie von Gunnar Volz erpresst?«, fragte er geradeheraus, und Sabine kniff nachdenklich die Augen zusammen, sagte aber nichts.
Claudia schwieg einige Sekunden.
»Wie kommen Sie darauf?«, entgegnete sie, wich seinem bohrenden Blick aus und endete bei Sabine.
Diese sprang sofort in die Bresche.
»Werden Sie, oder werden Sie nicht?«, wiederholte sie das Ansinnen ihres Kollegen.
»Dazu möchte ich ohne Rücksprache mit meinem Anwalt nichts sagen«, wand sich die Frau weiter.
»Grüßen Sie ihn schön«, kam es sofort von Sabine, »ich war vorgestern Abend lange bei ihm.«
»Das kann nicht sein«, widersprach Claudia und verschränkte kopfschüttelnd die Arme vor der Brust. »Er darf überhaupt nicht mit Ihnen sprechen.«
»Über gewisse Dinge nicht, da gebe ich Ihnen recht«, übernahm Angersbach wieder, »aber sollten wir uns nicht aufs Wesentliche konzentrieren?«
»Wie meinen Sie das?«
»Was hat es mit diesem Volz auf sich?«
Claudia stöhnte auf und fuhr sich durch die Haare. Offenbar rang sie mit sich selbst, welche der inneren Stimmen die Oberhand gewinnen sollte. Schließlich gab sie nach.
»Gunnar Volz ist ein Geschwür«, begann sie verächtlich schnaubend. »Mein Großvater hat seiner Familie gewisse Rechte eingeräumt, aber das wissen Sie ja bereits.« Ralph nickte,
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