Giftspur
machte große Augen.
»Gestern Abend? Nach unserem, hm,
Einsatz?
«
»Genau.« Sabine schilderte in wenigen Sätzen, worüber sie mit Brüning gesprochen hatte. Parallel dazu ließ sie die Briefe und Rechnungen durch ihre Finger zurück in den Karton gleiten. Was sollte sie schon finden, was Möbs entgangen war?
Dann aber zuckte sie zusammen. Sie sprach nicht weiter, bewegte sich nicht, starrte nur auf das Briefkuvert, das in ihren Händen lag. Das Adressfeld trug den Namen Claudia Herzberg in 61 118 Dortelweil.
»Was haben Sie denn?«, erklang Angersbachs Stimme wie aus weiter Ferne. Doch sie antwortete nicht. Stattdessen entfaltete sie das Anschreiben, welches das rote Logo der Deutschen Knochenmarkspenderdatei enthielt. Sie überflog die Zeilen. Es ging um den Eintrag im Spenderverzeichnis, dann folgten einige kryptische Begriffe, die Sabine nur überflog. Alles sah danach aus, dass Claudia vor Jahren an einer Typisierung teilgenommen hatte. Verschiedene Angaben, die erfasst worden waren, sollten nun durch weitere Tests ergänzt werden.
»Scheiße.« Sabine pfiff durch die Zähne und ließ das Papier vor sich niedersinken. »Ich glaube, ich weiß, was hier passiert ist.«
Angersbach schenkte ihr ein fragendes Stirnrunzeln, worauf sie fortfuhr: »Wie lautete der Vorname von Claudias Mutter?«
»Ebenfalls Claudia«, erinnerte sich Angersbach, »warum?«
»Dieser Brief war an die Tochter adressiert, das geht aus dem Geburtsdatum eindeutig hervor«, erklärte Sabine aufgeregt. »Die Typisierung hat stattgefunden, als sie noch in Dortelweil gemeldet war, also bevor Herzbergs Ehe zerbrach. Die Adressen im Melderegister der Spender werden offensichtlich nicht mit dem Einwohnermeldeamt abgeglichen und aktualisiert. Also flatterte dieses Schreiben vor rund drei Wochen direkt in Herzbergs Briefkasten.«
Jetzt dämmerte es auch Angersbach. Sein Blick erhellte sich, als er schlussfolgerte: »Er öffnet ihn und findet heraus, dass Claudia nicht seine leibliche Tochter ist.« Er pfiff und nickte langsam. »Das muss ihn hart getroffen haben. Ulf Reitmeyer hat ihm nicht nur die Frau, sondern auch die Tochter genommen. Und zwar noch auf eine ganz andere Weise als die, mit der er sich längst abgefunden hatte.«
»So zumindest die Theorie«, nickte Sabine. »Ich möchte das gleich nachprüfen, Moment.«
Schon klapperten ihre Finger zuerst auf der Computertastatur und dann am Telefon. Sie klemmte den Hörer ans Ohr, während ihr Blick auf den Computerbildschirm gerichtet war.
Das Gespräch dauerte keine zwei Minuten, dann hatte sie erfahren, was sie wissen wollte.
»Herzberg hat tatsächlich bei der DKMS nachgehakt«, verkündete sie triumphierend, »damit ergibt das Ganze endlich einen Sinn.«
»Ich möchte Sie ja ungern bremsen«, Angersbach rieb sich mit unverhohlenem Zweifel die Schläfe, »aber was ändert das an seinem Alibi?«
Kaum dass er gefragt hatte, fiel es ihm selbst ein, und auch Sabine ließ sich nicht beirren.
»Das Alibi hinkt schon lange«, erwiderte sie, »wir haben es nur nicht
gesehen.
Warten Sie kurz.«
Wieder würgte sie ihn ab, dieses Mal griff sie zum Handy und eilte nach draußen in den Flur.
Ralph Angersbach blieb verdutzt zurück. Er angelte sich den Brief, las die Zeilen und versuchte, ein Resümee zu ziehen. Doch es gab nach wie vor zu viele Widersprüche, zu viele Dinge, die nicht ins Bild passten. Ein Puzzle, dessen Teile man mit der Schere zurechtschnitt, mochte zwar ein flächendeckendes Bild ergeben, doch der Inhalt wäre blankes Chaos. Er erhob sich und ging ebenfalls in Richtung Tür. Draußen nahm Sabine gerade den Apparat vom Ohr.
»Ich hab’s«, grinste sie und ließ das Smartphone in ihrer Hosentasche verschwinden.
»Ich höre!«
»Herzberg hatte, als er auf dem Weidenhof tätig war, einen Schlüssel.«
»Aber das ist doch ewig her«, warf Angersbach ein.
»So lange nun auch wieder nicht«, widersprach Sabine. »Seit damals wurden jedenfalls nirgendwo Schlösser getauscht. Er hatte demnach die beste Zugangsmöglichkeit.«
»Verdammt!« Angersbach ballte die Faust. »Damit konnte er nachts einen geeigneten Augenblick abwarten und den vergifteten Ingwer plazieren.«
»Genau das denke ich auch. Er könnte das Gift Freitagnacht plaziert haben, oder noch früher. Herzberg kannte Reitmeyers Gewohnheiten, und damit meine ich nicht nur das Naschen, sondern auch das tägliche Joggen.«
»Das mag ja alles sein«, wandte Angersbach kopfschüttelnd ein, »aber wie passt
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