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Giftspur

Giftspur

Titel: Giftspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Holbe
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Augen die Umgebung ab, bis sie entdeckte, wonach sie Ausschau gehalten hatte. Ein VW -Transporter, hinter dessen Scheiben sie drei Personen ausmachte, der Fahrer stand draußen und rauchte, erwartete sie in angemessener Entfernung zur verabredeten Adresse. Zwei Kollegen kannte die Kommissarin bereits vom Sehen, eine junge Frau –
endlich mal eine Frau!
 – sah sie zum ersten Mal. Außerdem dabei war Heiko Schultz, ein korpulenter Polizeibeamter ihres Alters, dessen Laufbahn mit Sabines begonnen hatte. Vor ein paar Wochen hatten sie sich nach Jahren wiedergesehen, Erinnerungen ausgetauscht, und nun standen sie kurz davor, ihre erste gemeinsame Aktion durchzuführen.
    »Möchtest du nicht nach Bad Vilbel wechseln?«, hatte Sabine Heiko noch im Januar gefragt, als sie sich eines Abends durch das Friedberger Nachtleben bewegten. Doch er hatte nur gelacht.
    »Meine Frau würde mir die Hölle heißmachen, wenn ich in ein kleineres Revier wechsle.« Im Laufe des Abends berichtete der wenig attraktive, aber sympathische Mann von seinem Häuschen auf dem Land, einer hochschwangeren Frau, die ihm gegen Ostern das zweite Kind schenken würde, und das alles mit jenem kaum zu ertragenden verklärten Blick, der sie stets berührte. Familie, Kinder, ein Haus … Sabine Kaufmann hatte sich dazu gezwungen, dieses Idyll nicht mit ihren Sorgen zu belasten, und gute Miene zum bösen Spiel gemacht.
Auch du, mein Sohn Brutus.
Wenn selbst ein Mann wie Heiko Schultz, zwar ungemein sympathisch, aber ansonsten weder ein Krösus noch ein Adonis, es zu einer Familie brachte, warum dann nicht sie?
    »Wir müssen das Überraschungsmoment nutzen.« Die etwas heisere Stimme des Beamten holte Sabine abrupt in die Gegenwart zurück. Ihr Blick wanderte die Gebäudefassade hinauf. Die Wohnung lag im vierten Stock, zu hoch, um sich über den Balkon abzusetzen, und zu tief, als dass sich die Flucht in Richtung Dach lohnen würde. Doch mit einem rationalen Handeln war nicht zwangsläufig zu rechnen. Einmal in der Falle, ohne Aussicht auf Entkommen, traten die niedrigsten Überlebensinstinkte eines Menschen hervor.
    Die Gruppe näherte sich dem Eingang. Anstatt wahllos zu klingeln, kam ihnen der Zufall zu Hilfe, und eine ältere Dame presste ihren Körper durch die Metalltür, in der Hand zwei Müllbeutel, aus denen es nach altem Käse stank. Sabine legte verschwörerisch ihren Finger auf die Lippen und gab der irritierten Frau zu verstehen, dass sie sich in Sicherheit bringen solle. Ihre Waffe hatte die Kommissarin noch nicht gezogen, aber die Gürtelholster ihrer Kollegen waren nicht zu übersehen. Misstrauisch brabbelnd entfernte sich die Alte in Richtung der metallenen Müllcontainer. Zwei Beamte sicherten das Treppenhaus in der dritten Etage, die Kollegin, die sich ihr als Petra vorgestellt hatte, schlich hinauf in die fünfte. Den Fahrstuhl hatte Heiko im Erdgeschoss mit einer zwischen den Türen eingeklemmten Zeitung blockiert. Ein spontaner Einfall, so simpel in der Durchführung, so verlässlich in seiner Wirkung.
    »Zeugen Jehovas?«, raunte er nun in Sabines Richtung, die ihn daraufhin verwirrt anblickte. Sie näherten sich der fraglichen Haustür, hinter der gedämpfte Stimmen zu hören waren. Vermutlich der Fernseher.
    »Wie? Quatsch!« Die Kommissarin fuhr herum und schüttelte entgeistert den Kopf, bis sie Schultz grinsen sah. Für gewöhnlich tarnte man sich als Hausverwaltung, Stromableser oder ähnliche Personen, denen auch schwere Jungs unbedarft die Türe öffneten, und sei es nur, um sie abzuwimmeln.
    »Dann Stadtwerke«, schlug er vor.
    »Meinetwegen. Ich klingele …«
    »Von wegen! Als würde eine Blondine wie du bei den Stadtwerken arbeiten.«
    »Mir machen zwei spätpubertäre Jungs aber eher auf«, konterte Sabine, doch Heiko hatte längst die Tür erreicht und bohrte seinen speckigen Zeigefinger auf den Klingelknopf.
    Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis sich drinnen etwas rührte. Sabine vermutete, dass sie in der Wohnung auf mindestens zwei kreidebleiche, zugedröhnte Individuen stoßen würden, deren Gehirne noch viel zu träge waren, um zu verarbeiten, was sich abspielte. Doch sie täuschte sich. Nach dem zweiten Schellen näherten sich schlurfende Schritte, es schepperte, als eine Wade gegen einen Glastisch stieß, dann murrte von innen eine unverständliche Stimme. »
Wnz
 …« Hüsteln, dann, etwas lauter: »Was?«
    »Schultz, Stadtwerke Bad Vilbel. Ich soll die Thermostate prüfen.«
    Sabine grinste schief.

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