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Giftweizen

Giftweizen

Titel: Giftweizen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Schroll
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könnte. Sie sollte die Gelegenheit nutzen und sich sofort auf den Weg machen. Andererseits war eine zügige Auswertung der alten Akten zu Holl auch enorm wichtig.
Laura sah Judith das Dilemma an. »Kann ich irgendwie helfen? Das Sichten der Akten auf Spuren von Berthold Lemke kann ich auch ein andermal erledigen. Das eilt doch nicht.«
Dankbar nahm Judith den Vorschlag an. »Ich würde alle Akten zu Holl und seinem Umfeld benötigen.«
»Mach ich sofort. Außerdem, wenn Großmutters Gerücht von der lebenslänglichen Haftstrafe tatsächlich stimmte, dann könnte er gerade erst entlassen worden sein«, überschlug Laura flüchtig. »Das wird in der Gegend einigen Leuten, die ihn von früher noch kannten, nicht gefallen haben.«
»Offenbar. Er wurde nämlich vergiftet. Dr. Renz wusste nur noch nicht, womit, doch das findet er schon noch heraus.«
»Angesichts von Holls Taten könnte man seine Ermordung ja fast als natürliche Todesursache durchgehen lassen. Auf welche Weise, außer ermordet zu werden, sollten solche Leute denn sonst enden?«, beschied Laura lakonisch die Nachricht von der Todesart des Mannes und fing an, einige Akten aus den Regalfächern zu ziehen. »Das ist keine Mühe, Judith, überhaupt nicht. Ich suche schnellstens alles raus und mache dir dann eine Zusammenfassung zu diesem Widerling.«

    ~ 34 ~
     
    Walter Dreyer war auf dem Weg zum nächsten Besitzer eines braunen Skodas. Sich für die weiteren Befragungen des heutigen Tages mit ein paar Flaschen Limonade zu versorgen, hielt er für eine gute Idee. Er bog gerade um die Ecke am Konsum, da passierte es: Ein ungestümer, sich wie aus dem Nichts materialisierender dunkler Schatten schoss, begleitet von einem furiosen Geschepper, auf ihn zu. Dreyer hoffte, der drohenden Karambolage durch einen gewagten Sprung auf die oberste Stufe der Ladeneingangstreppe entgehen zu können. Unglücklicherweise stolperte er, fiel und stieß sich schmerzhaft das Knie.
Schon beim ersten, flüchtigen Aufschauen bemerkte er, dass es seinem Angreifer nicht besser ergangen war. Der kauerte zusammengekrümmt vor der unteren Stufe und gab stöhnende Laute von sich. Das Fahrrad, mit dem die Attacke gegen ihn gefahren worden war, hatte eine schöne Acht im Vorderreifen.
»Ha!«, die Schadenfreude linderte kurz Walters Schmerz – bis er sah, wem der ramponierte Drahtesel gehörte: Hedwig Bieske.
»Oh je!«, entfuhr es Walter Dreyer laut. Dieser Tag würde nicht seiner werden!
Hedwig Bieske war eine in der ganzen Gegend gefürchtete Frau – die resolute Chorleiterin aus dem Nachbardorf Engersen, die unentwegt danach trachtete, die stets zu knappen Männerstimmen mit den Herren der umliegenden Dörfer aufzufüllen. Jede noch so kleine Begegnung nutzte sie erbarmungslos, um weitere Bässe oder Tenöre einzufangen.
Walter Dreyer machte deswegen schon immer einen großen Bogen um sie, wenn er ihrer ansichtig wurde. Doch im Moment war an Flucht nicht zu denken. Er fügte sich in sein Schicksal und half der korpulenten Frau mit einiger Anstrengung wieder auf die Beine. »Was ist denn los, Frau Bieske? Wieso pesen Sie denn hier um die Ecke wie ein geölter Blitz? Da hätte ja sonst was passieren können!«
»Ist es ja auch! Ist es ja auch!«, rief sie aufgeregt.
Walter Dreyer besah sie sich genauer. Er konnte nichts Besorgniserregendes entdecken. Hedwig Bieske stand aufrecht, hatte eine sehr gesunde Gesichtsfarbe und bewegte sich normal. Er trat wieder etwas näher an sie heran: »Zeigen Sie doch mal!«, bot er ihr eine Untersuchung etwaiger Wunden oder schmerzender Stellen an.
Vom Lärm angelockt, waren zwei Kundinnen aus dem Laden gekommen, die ihre gefüllten Einkaufstaschen sorgsam an der Hauswand abgestellt hatten. Neugierig und ohne Hemmungen verfolgten sie den Gang der Ereignisse, auf gute Unterhaltung hoffend.
»Mir fehlt doch nichts!«, wies Hedwig Bieske Dreyers Hilfe mit einem bösen Blick auf die Zuschauer energisch zurück. Erst jetzt schien sie zu erkennen, mit wem sie da zusammengestoßen war. »Ach, Sie sind das! Na, da hatte ich ja Glück!«
So hätte Walter Dreyer die Situation allerdings nicht beschrieben.
Die Frau fuhr flüsternd fort: »Ihnen muss ich nämlich was sagen! Gleich!« Wieder folgte ein vernichtender Seitenblick auf die Gafferinnen. »Aber allein!«, ergänzte sie lautstark.
Würde es langsam zur Normalität werden, dass es die Leute darauf absahen, ihn vor der Überbringung einer Nachricht über den Haufen zu fahren?, überlegte Walter im Stillen.

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