Giftweizen
Brunner in der Meldestelle gewesen, doch dort hatte sie bisher nur die Meldekarte zum verstorbenen Vater Arno Holl, dem Förster aus Waldau, gefunden. Die Kopie der Karteikarte heftete sie ebenfalls an die Tafel. Immerhin waren die Kinder Otto und Jenny Holl mit ihren Geburtsdaten eingetragen, wie auch ihre recht früh verstorbene Mutter Luise, eine geborene Flemming.
Nun die Zeugen. Auf die nächste Tafel schrieb Judith Brunner die Namen aller bisher bekannten Zeugen untereinander und hakte diejenigen ab, deren Befragung bereits protokolliert war. Zumindest mit den Ergebnissen aus Waldau und Umgebung konnte sie zufrieden sein.
In die Spalte daneben wollte sie diejenigen Leute schreiben, mit denen sie persönlich im Rahmen der Ermittlung gesprochen hatte, Botho Ahlsens, Dr. Heiner Frederich, ...
Das Telefon klingelte und Lisa Lenz hob ab: »Büro Brunner. Hallo, Dr. Renz. Ja, die Hauptkommissarin ist hier. Einen Moment bitte«, und übergab Judith den Hörer.
Nach dem Telefonat mit Dr. Renz war Judith Brunner klar, dass die Ermittlungen ausgeweitet und intensiviert werden mussten. Sie klärte Lisa kurz auf und fügte hinzu: »Ich muss zugeben, dass ich von diesem Täter schon etwas beeindruckt bin. Sein Täuschungsmanöver ist lückenlos aufgegangen.« Sie bat Lisa, die Ermittlungsgruppe unverzüglich zusammenzuholen.
Die Geschichte um Otto Holl, die sich am vergangenen Abend in dem Gespräch mit Botho Ahlsens herausgestellt hatte, und die Mitteilung über die gefälschten Telefonate wurden mit Erstaunen aufgenommen. Sofort entspann sich eine lebhafte Diskussion.
»Der Anrufer muss Ahnung von Medizin haben und sich im Krankenhausbetrieb auskennen, denn schließlich hätte Renz das Gespräch ja auch noch ausführlicher halten oder gar auf Persönliches zu sprechen kommen können«, meinte Thomas Ritter.
»Ach, dann hätte der Mann einfach behauptet, er müsse zu einem Patienten oder sonst wohin«, verwarf Dr. Grede das Argument. »Wo haben wir denn die Befragungen aus dem Krankenhaus?«
Lisa holte einen Hefter, überflog die erste Seite und meinte: »Einige Leute haben die Kollegen noch gar nicht angetroffen: Die Fahrer der SMH-Wagen fehlen, auch die Brotfahrer hatten eine andere Schicht. Da wird erst heute was passieren.«
»Stimmt«, gab Judith Brunner ihr recht. »Dr. Renz hat uns außerdem eine Liste mit Personen aus dem Krankenhaus zugesagt, die der ›echte‹ Chefarzt der Inneren Medizin, ein Dr. Franz Carow, zusammengestellt hat. Alles Leute, die in der fraglichen Zeit den Anruf bei Dr. Renz hätten fingieren können. Da werden einige Befragungen hinzukommen. Lisa, Sie werten bitte die eingehenden Protokolle immer sofort aus und legen auch für das Krankenhaus eine Zeitleiste an.« Judith hatte gefallen, wie kreativ Lisa dies für die Ereignisse am Ferchel begonnen hatte. Nun erwähnte sie noch mal für alle: »Und wir haben seit gestern eine Aufstellung zu den Autos. Die überprüft Walter Dreyer. Vielleicht ergibt sich da ja was draus.« Dann deutete Judith Brunner auf die Wandtafeln: »Wir wissen viel zu wenig über den vergifteten Mann. Wo lebte Holl in den letzten Jahrzehnten? Nur über ihn kommen wir zum Täter.«
Dr. Grede wusste: »Der Mann war doch zu seiner Zeit ein schlimmer Finger, zumindest wenn wir Botho Ahlsens glauben. Danach müsste es massenweise Anzeigen und Ermittlungen geben. Wir brauchen doch nur bei der Staatsanwaltschaft nachzufragen.«
»Darum kümmere ich mich«, sagte Judith Brunner zu. »Und Frau Perch durchsucht ja im Moment unser Archiv, mal sehen, jetzt, wo wir einen Namen haben, sollte alles viel schneller gehen. Zudem könnten wir auch in der Stadtbibliothek in die alten Zeitungen schauen.« Sie machte sich eine Notiz und fuhr dann nachdenklich fort: »Wer hatte es auf einen Mann wie Otto Holl abgesehen? Einen Vergewaltiger und Bandenchef? Holt ihn aus seiner letzten Ruhestätte, wäscht ihn und bringt ihn ins Krankenhaus? Seine alten Kumpane sicher nicht!«
»Mir fällt da nur eines ein. Ein liebendes Mutterherz«, kam es, nicht ganz ernst gemeint, von Ritter.
Sein Chef widersprach: »Die ist lange tot. Das wüsstest du, wenn du mal einen Blick auf die Tafeln geworfen hättest. Und selbst wenn nicht, wäre sie in ihrem Alter wohl kaum in der Lage, das Ganze zu bewältigen.«
»Eine Ehefrau, eine Geliebte«, schlug Ritter weiter vor.
»Die Angetraute wäre ganz bestimmt auch nicht mehr kräftig genug. Überleg doch mal selbst!« Ritters Vorschläge gefielen Dr. Grede ganz und
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