Giftweizen
oder Steinmetzfirmen zur Ansicht aus.
Brigitte Möbius erschien wieder, verfolgt von einem intensiven Schwall Farbgeruch. Die Quelle der Luftveränderung war ein ziemlich genervt wirkender Mann, der die Besucher im Vorbeigehen wortlos grüßte und seinen Arbeitskittel besser schon draußen hätte ablegen sollen.
Die Besitzerin des Ladens erläuterte: »Gestern habe ich endlich wieder einige Särge geliefert bekommen, das wurde höchste Zeit. Ich habe bei meiner letzten Beschwerde schon gedroht, ein Schild rauszuhängen ›Wegen Sargmangel geschlossen‹. Ich musste sogar eines von meinen besten Ausstellungsstücken nehmen, um eine Beerdigung machen zu können. Wahrscheinlich hatte ich sogar noch Glück und bekam eine größere Lieferung, weil drüben bei Lindenlaub zu ist und dadurch einfach mal mehr Särge da waren. Na, jedenfalls machen wir es hier so, dass wir die Spanplatten selbst beizen oder lackieren, je nach Kundenwunsch. Und heute bereiten wir gleich zwei Särge in Nussbaum dunkel vor; das riecht leider ein bisschen.«
In ihrem Büro bat Brigitte Möbius die Polizisten, Platz zu nehmen. Sie selbst setzte sich hinter einen schwarzen Herrenschreibtisch, der Teil eines Ensembles aus der Gründerzeit war. »Den Laden hat schon mein Großvater geführt, genau von diesem Platz aus«, bemerkte die Inhaberin stolz. »Von ihm lernte ich schon als Kind alles über unseren Beruf. Meine Mutter und ich lebten in der Wohnung über diesem Geschäft, gemeinsam mit meinen Großeltern. Wenn sich am Wochenende ein plötzlicher Todesfall ereignete, kamen die Angehörigen noch spät abends zu uns und saßen dann in der Küche bei einem Trost spendenden Getränk. Kaffee, Tee, Schnaps – es gab alles. Manche der Hinterbliebenen schimpften über die Ungerechtigkeit der Welt, manche weinten sich den Schmerz von der Seele und nebenbei besprachen sie die Bestattung. Mein Großvater und nach ihm meine Mutter und jetzt ich – wir waren immer für die Hinterbliebenen da, Tag und Nacht. Trotzdem gibt es Leute, die dreimal ausspucken, wenn sie hier vorbeikommen. Bestatter mag eben nicht jeder. Allerdings ist unser Haus eine Institution, die jeder in der Gegend seit Jahrzehnten kennt.«
Judith Brunner fand diese selbstbewusste Aussage und die Schilderung einer achtbaren Familientradition sympathisch. Sie bedankte sich dafür und erläuterte kurz den genauen Grund für ihren Besuch: »Wir überprüfen, welche Bestatter in der vergangenen Woche im Krankenhaus zu tun hatten. Die dortige Verwaltung hat auf unsere Nachfrage hin mitgeteilt, dass Sie im fraglichen Zeitraum zwei Tote abgeholt haben. Dürften wir dazu Ihre Unterlagen sehen?«
Bereitwillig suchte Brigitte Möbius die erbetenen Papiere heraus. »Das eine war eine Urnenbeisetzung, das andere eine Beerdigung; dafür habe ich mein Ausstellungsstück genommen«, erläuterte sie.
Judith Brunner prüfte sorgfältig das Transportbuch, die Bescheinigungen und Dokumente. Zur Sicherheit reichte sie die Unterlagen dann auch an Walter weiter. Alles schien in bester Ordnung zu sein.
»Ist Ihnen bei den Transporten im Krankenhaus etwas aufgefallen? War etwas anders als sonst?«, fragte Walter Dreyer.
»Da müssen Sie meinen Einsarger fragen, denn der erledigt das Abholen der Leichen, zumeist gemeinsam mit einem Gehilfen. Dabei passieren ihm schon seltsame Sachen: Neulich erst erzählte er mir, dass er von einer Witwe darum gebeten wurde, auf keinen Fall mit einem schwarzen Wagen zu kommen und sich als Krankenpfleger zu verkleiden, damit die anderen Bewohner in dem Mietshaus nicht mitkriegten, dass ihr Mann gestorben war.« Fassungslos schüttelte Brigitte Möbius den Kopf. Dann bat sie ihren Mitarbeiter hinzu.
Der Sargbeizer hatte keine bemerkenswerten Beobachtungen gemacht; die Leichen hätten keinerlei Probleme bereitet.
Nachdem ihr Besuch in den nüchternen Räumlichkeiten des in der Nähe gelegenen Städtischen Bestattungswesens ebenso bescheidene Ergebnisse gebracht hatte, waren Judith Brunner und Walter Dreyer mit ziemlich geringen Erwartungen zum dritten Bestattungshaus aufgebrochen.
Das »Bestattungsinstitut Lindenlaub, gegr. 1951« machte mit seinen halb heruntergelassenen Jalousien einen etwas vernachlässigten Eindruck. In einem schlichten Schaukasten an der Hauswand bot man »Bestattungen mit Hausbesuch« und »Übernahme aller Formalitäten« an. Ein weiterer Zettel verriet eine Telefonnummer für Notfälle. Die augenfälligste Mitteilung, mit dickem schwarzem Stift auf grauem
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