Gilbert, Elizabeth
darum bitte,
in einen Kurs der Stufe eins wechseln zu dürfen. Man erfüllt mir den Wunsch.
Und jetzt bin ich hier.
Dieser Lehrer ist wohlbeleibt und redet langsam. Das ist
viel besser.
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Das Interessante an meinem Italienischkurs ist, dass
eigentlich niemand gezwungen ist, hier zu sein. Zu zwölft studieren wir hier
miteinander, Leute aus allen Altersgruppen, aus der ganzen Welt, und alle sind
wir aus demselben Grund nach Rom gekommen - um Italienisch zu lernen, einfach
weil wir Lust darauf haben. Keiner kann auch nur einen einzigen praktischen
Grund für seine Anwesenheit anführen. Kein Boss hat von irgendjemandem hier
verlangt: »Um unsere Auslandsgeschäfte zu führen, müssen Sie unbedingt Italienisch
lernen.« Alle, sogar der verklemmte deutsche Ingenieur, teilen das Motiv, das
ich für mein ganz persönliches hielt: Wir alle wollen Italienisch sprechen,
weil wir uns so toll dabei fühlen. Eine Russin mit traurigen Augen erzählt uns,
sie gönne sich Italienischstunden, weil »ich glaube, dass ich etwas Schönes
verdient habe«. Der deutsche Ingenieur sagt: »Ich möchte Italienisch lernen,
weil ich la dolce vita liebe.« (Nur klingt das mit
seinem harten deutschen Akzent, als liebe er »la deutsche vita«, von dem er,
wie ich fürchte, schon genug abgekriegt hat.)
Wie ich in den nächsten Monaten in Erfahrung bringe, gibt
es tatsächlich einige gute Gründe, warum man Italienisch als verführerischste
und schönste Sprache der Welt bezeichnen kann und warum ich mit dieser Meinung
nicht allein dastehe. Um dies zu begreifen, muss man zunächst einmal wissen,
dass Süd- und Westeuropa einst ein Pandämonium unzähliger lateinischer
Dialekte waren, die sich allmählich, über die Jahrhunderte, zu mehreren
unterschiedlichen Sprachen ausformten - unter anderen Französisch, Portugiesisch,
Spanisch und Italienisch. In Frankreich, Portugal und Spanien vollzog sich
dies als quasi organische und natürliche Evolution: Der Dialekt der
bedeutendsten Stadt entwickelte sich allmählich zur Sprache der gesamten
Region. Daher ist das, was wir heute Französisch nennen, eigentlich eine
Fortsetzung des mittelalterlichen Pariserisch. Portugiesisch ist im Grunde
Lissabonerisch. Und Spanisch im Wesentlichen Madrilenisch. Dies waren
wirtschaftliche und politische Siege; die ökonomisch stärkste Stadt, die
zugleich auch die Residenz des Königs war, bestimmte letztendlich die Sprache
des ganzen Landes.
In Italien war das anders. Ein entscheidender Unterschied
bestand darin, dass Italien während der längsten Zeit der europäischen
Geschichte überhaupt kein geeintes Land war. Zusammenschluss und Einigung
erfolgten erst relativ spät (1861); zuvor bestand die Halbinsel aus zahlreichen
Kleinstaaten, die von stolzen örtlichen Fürsten oder anderen europäischen
Mächten beherrscht wurden. Teile Italiens gehör ten zu
Frankreich, andere zu Spanien, wieder andere gehörten der Kirche und noch
einmal andere jedem, dem es gelang, die örtliche Festung oder den Stadtpalast
zu erobern. Das Volk fühlte sich durch all diese Herrschaften zuweilen gedemütigt,
zuweilen setzte es sich unbekümmert über sie hinweg. Den meisten gefiel es
zwar nicht besonders, von anderen Europäern beherrscht zu werden, doch
letztlich nahmen sie es gleichmütig hin. So sagten etwa die Römer: »Francia o
Spagna, purché se mangia«, was so viel heißt wie: »Frankreich
oder Spanien - Hauptsache, ich hab zu essen.«
Die politische Zersplitterung bewirkte, dass auch die Sprache
lange Zeit sehr uneinheitlich blieb und die Menschen in ihren Dialekten
sprachen und schrieben. Ein Wissenschaftler aus Florenz war nicht in der Lage,
sich mit einem Dichter aus Sizilien oder einem Kaufmann aus Venedig auszutauschen
(es sei denn auf Latein). Im sechzehnten Jahrhundert versammelten sich einige
italienische Intellektuelle und befanden, dass dies ein unhaltbarer Zustand
sei. Das Volk brauche eine italienische Sprache,
wenigstens in geschriebener Form, die alle als offizielle Sprache der gesamten
Halbinsel anerkennen konnten. So wählten diese Intellektuellen den schönsten
aller Stadtdialekte und krönten ihn zur italienischen Sprache.
Den schönsten Dialekt Italiens fanden sie in Florenz. Als
korrektes Italienisch sollte betrachtet werden, was im vierzehnten Jahrhundert
die Sprache des großen Florentiner Dichters Dante Alighieri und seiner Dichterkollegen
Petrarca und Boccaccio gewesen war. Als Dante 1321 seine Göttliche
Komödie veröffentlichte, die
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