Gilbert, Elizabeth
Verständnishunger mehr
verspürt. Ich fand ein paar zweisprachige Ausgaben von Werken amerikanischer
Dichter in dieser Buchhandlung und kaufte mir einen Band von Robert Lowell sowie
einen von Louise Gluck.
Überall ergeben sich spontane Konversationskurse. Heute
etwa saß ich auf einer Parkbank, als eine winzige alte Frau in einem schwarzen
Kleid zu mir herüberkam, sich neben mich setzte und auf mich einredete.
Verwirrt und stumm schüttelte ich den Kopf. Dann fragte sie etwas, und ich entschuldigte
mich und erwiderte in sehr freundlichem Italienisch: »Es tut mir Leid, aber
ich spreche kein Italienisch«, worauf sie mich ansah, als würde sie mich gleich
mit dem Holzlöffel versohlen, falls sie einen zur Hand gehabt hätte. Sie
beharrte: »Sie verstehen sehr wohl!« (Interessanterweise hatte sie Recht.
Diesen Satz verstand ich in der Tat.) Nun wollte sie wissen, woher ich kam. Ich
erzählte ihr, ich sei aus New York, und stellte ihr die gleiche Frage. Ah - sie
sei aus Rom. Als ich das hörte, klatschte ich in die Hände wie ein Baby. »Ach,
Rom! Das herrliche Rom! Ich liebe Rom! Das schöne Rom!« Sie lauschte meinen
primitiven Rhapsodien mit Skepsis. Dann kam sie zum Wesentlichen und fragte, ob
ich verheiratet sei. Ich erzählte ihr, ich sei geschieden. Es war das erste
Mal, dass ich es überhaupt jemandem sagte, und da saß ich und sagte es auf
Italienisch. Natürlich wollte sie wissen: »Percha?« Nun ...
Ich stotterte herum und sagte schließlich: »L'abbiamo
rotto.« (Wir haben's versemmelt.)
Sie nickte, stand auf, ging zur Straße und zur
Haltestelle, stieg in ihren Bus ein und wandte nicht einmal mehr den Kopf, um
mir einen letzten Blick zu schenken. War sie sauer auf mich? Merkwürdigerweise
wartete ich noch zwanzig Minuten auf dieser Parkbank und dachte gegen alle Vernunft,
dass sie möglicherweise zurückkäme, um das Gespräch mit mir fortzusetzen, aber
das tat sie nicht. Sie hieß Celeste.
An diesem Tag entdeckte ich auch eine Bibliothek. Ich liebe
Bibliotheken. Die besagte Bibliothek befindet sich in einem herrlichen alten
Bau mit einem als Garten angelegten Innenhof, den man - wenn man den Bau nur
von der Straße aus betrachtet - nie darin vermuten würde. Der Garten ist ein
vollkommenes Quadrat, mit Orangenbäumen bestanden und einem Brunnen in der
Mitte. Dieser Brunnen ist jedoch nicht in majestätischen Marmor gehauen. Er ist
klein, grün, bemoost, organisch und ähnelt einem Farnstrauch. (Tatsächlich
sieht er genauso aus wie das wilde Laubwerk, das aus dem Kopf jener betenden
Figur spross, die der indonesische Medizinmann für mich gezeichnet hatte.) Aus
der Mitte dieses blühenden Strauchs schießt das Wasser in die Höhe und regnet dann
wieder auf die Blätter herab, wobei es einen melancholischen, lieblichen Laut
erzeugt, der durch den ganzen Hof hallt.
Ich fand einen Sitzplatz unter einem Orangenbaum und
öffnete einen der Lyrikbände, die ich am Vortag gekauft hatte. Louise Gluck. Ich
las das erste Gedicht auf Italienisch, dann auf Englisch und hielt bei
folgender Zeile unvermittelt inne:
Dal centro della mia vita venne una grande fontana ... »Aus der
Mitte meines Lebens entsprang ein mächtiger Quell...«
Ich legte das Buch in den Schoß und bebte vor Erleichterung.
13
Ich bin, ehrlich gesagt, nicht die beste Reisende der
Welt.
Ich weiß das, weil ich viel gereist bin und Leute
getroffen habe, die es wirklich großartig können. Echte Naturtalente. Ich habe
Reisende getroffen, die körperlich so robust sind, dass sie eine Schuhschachtel
voll Wasser aus einem Rinnstein Kalkuttas trinken können und trotzdem nicht
krank werden. Leute, die es schaffen, neue Sprachen aufzuschnappen, wo wir
anderen uns wahrscheinlich nur ansteckende Krankheiten einfangen. Menschen,
die wissen, wie man einen streng dreinblickenden Grenzwächter ablenkt oder wie
man einen unkooperativen Beamten an der Visa-Vergabestelle beschwatzt. Leute,
die die richtige Größe und Hautfarbe haben, um, wo immer sie hinreisen,
halbwegs der ortsüblichen Norm zu entsprechen: In der Türkei könnten sie Türken
sein, in Mexiko sind sie plötzlich Mexikaner, in Spanien könnte man sie mit
Basken verwechseln und in Nordafrika gehen sie als Araber durch ...
Ich verfüge nicht über diese Eigenschaften. Zunächst einmal
gehe ich nicht in der Menge unter. Groß, blond und rosig, wie ich bin, ähnele
ich eher einem Flamingo als einem Chamäleon. Wo immer ich auch hinkomme - mit
Ausnahme von Düsseldorf-, steche ich
Weitere Kostenlose Bücher