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Gilbert, Elizabeth

Gilbert, Elizabeth

Titel: Gilbert, Elizabeth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Love Pray Eat
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eine visionäre Wanderung durch Hölle,
Fegefeuer und Paradies schildert, schockierte er die literarische Welt, weil er
sie nicht auf Latein verfasst hatte. Er empfand das Lateinische als eine
korrumpierte, elitäre Sprache und meinte, seine Verwendung in ernster Prosa habe
»die Literatur zur Hure gemacht«, weil sie das universelle Erzählen zu einem
Privileg gemacht habe, das nur für Geld und im Falle adliger Abkunft zu haben
sei. Dante zog es vor, in der Sprache des Volkes zu schreiben, seiner eigenen
Sprache, der Mundart von Florenz.
    Im von ihm so genannten dolce stú
novo, dem »süßen neuen Stil« der Volkssprache, schrieb er seine
frühen Gedichte, und mit der Abfassung der Göttlichen
Komödie formte er schließlich diese Sprache und wirkte so
persönlich auf sie ein wie Shakespeare auf das elisabethanische Englisch.
    Das Italienisch, das wir heute sprechen, ist folglich weder
römisch noch venezianisch (obwohl Rom kirchliches Machtzentrum und Venedig eine
bedeutende Militär- und Handelsmacht war) noch auch wirklich rein
florentinischer Dialekt. Es ist eine Sprache Dante'scher Prägung. Keine andere
europäische Sprache kann auf eine so »edle« Herkunft verweisen. Und vielleicht
war kein Idiom jemals so sehr dazu ausersehen, menschliche Empfindungen zum
Ausdruck zu bringen, wie dieses von einem der größten Dichter der
abendländischen Kultur veredelte Florentiner Italienisch des vierzehnten
Jahrhunderts. Dante schrieb seine Göttliche Komödie in terza rima (Terzinen), einem Dreireimer oder Dreizeiler beziehungsweise einer
Kette von Reimen, in der sich jeder Reim innerhalb von fünf Zeilen zweimal
wiederholt, was seiner hübschen Florentiner Mundart das verleiht, was Gelehrte
als »fallenden Rhythmus« bezeichnen - einen Rhythmus, der in den poetischen
Kadenzen italienischer Taxifahrer, Metzger und Regierungsbeamten weiterlebt.
Die letzte Zeile der Göttlichen Komödie, in der
Dante Gott selbst schaut, gibt eine Empfindung wieder, die jeder, der mit dem
modernen Italienisch vertraut ist, leicht nachvollziehen kann. Dante schreibt,
dass Gott nicht nur eine blendende Vision herrlichen Lichtes sei, sondern vor allem l'amor che move il sole e l'altre stelle ... (»die
Liebesallgewalt, die im Kreise führt die Sonne und die Sterne«).
    Mein so unbedingter Wunsch, diese Sprache zu lernen, ist
also wirklich verständlich.
     
    16
     
    Nach etwa zehn Tagen in Italien holen mich Depression und
Einsamkeit ein. Eines Abends spaziere ich nach einem glücklichen Schultag
durch den Park der Villa Borghese, während hinter dem Petersdom die Sonne
untergeht. Ich fühle mich glücklich in dieser romantischen Szenerie, obwohl ich
völlig allein bin, während alle anderen im Park entweder ihre Liebsten
streicheln oder mit lachenden Kindern spielen. Doch ich halte inne, um mich auf
eine Brüstung zu stützen und den Sonnenuntergang zu betrachten, und ich denke
ein bisschen zu viel nach und gerate schließlich ins Grübeln, und da holen die
beiden mich ein.
    Sie kommen völlig lautlos wie Pinkerton-Detektive, und sie
nehmen mich - Mr Depression zu meiner Linken, Mr Einsamkeit zur Rechten - in
ihre Mitte. Ihre Dienstmarken brauchen sie mir nicht zu zeigen. Ich kenne meine
Pappenheimer. Schließlich spielen wir schon seit Jahren Katz und Maus
miteinander. Wenn ich auch zugeben muss, dass es mich überrascht, sie bei
Anbruch der Dunkelheit in diesem romantischen italienischen Park anzutreffen.
Sie haben hier nichts verloren.
    »Wie habt ihr mich hier gefunden?«, frage ich sie. »Wer
hat euch gesagt, dass ich in Rom bin?«
    Depression, schon immer der Schlauere von beiden, erwidert:
»Wie? Freust du dich etwa nicht, uns zu sehen?«
    »Verschwinde«, sage ich ihm.
    Einsamkeit, der Sensiblere, meint: »Tut mir Leid, ma'am. Aber
vielleicht muss ich Sie auf Ihrer gesamten Reise beschatten. Das ist mein
Auftrag.«
    »Es wäre mir wirklich lieber, wenn Sie es ließen«, erwidere
ich, und er zuckt fast entschuldigend die Achseln, rückt mir aber noch mehr auf
die Pelle.
    Dann filzen sie mich. Sie leeren mir die Taschen, berauben
mich jeder Freude, die ich bei mir hatte. Depression konfisziert sogar meinen
Ausweis; aber das macht er ja immer. Dann beginnt Einsamkeit sein Verhör, das
ich fürchte, weil es sich stets über Stunden hinzieht. Er ist höflich, aber
unerbittlich, und am Ende stellt er mir immer ein Bein. Er fragt, ob ich ihm
denn irgendeinen Grund nennen könne, warum ich überhaupt glücklich sein sollte.
Und weshalb

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