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Gilbert, Elizabeth

Gilbert, Elizabeth

Titel: Gilbert, Elizabeth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Love Pray Eat
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amerikanischen Karrieregirls,
das sich in einer zunehmend von Stress und Entfremdung geprägten Urbanen Welt
bemüht, sein Gleichgewicht zu finden?) Hatte sie astrologische Ursachen? (Bin
ich so traurig, weil ich ein dünnhäutiger Krebs bin?) Hatte sie mit der Kunst
zu tun? (Leiden kreative Menschen nicht immer unter Depressionen, weil sie so
hypersensibel und eigen sind?) Oder aber mit der Evolution? (Trage ich noch
etwas von der Panik in mir, die meine Spezies bei ihrem jahrtausendelangen
Überlebenskampf in einer brutalen Welt entwickelt hat?) War es Karma? (Sind all
diese Leidensanfälle lediglich die Folgen meines Fehlverhaltens in früheren
Leben, die letzten Hürden vor der Befreiung?) War die Depression hormonell
bedingt? Philosophisch? Saisonal? Ernährungsbedingt? Oder war die Umwelt
schuld? Hatte ich mich von einer universellen Sehnsucht nach Gott anstecken
lassen? Oder litt ich nur unter einem physiologischen Ungleichgewicht? Musste
ich es mal wieder besorgt kriegen?
    Wie viele Faktoren ein einzelnes menschliches Wesen bedingen!
Und auf wie vielen Ebenen operieren wir, und wie vielen Einflüssen sind wir
durch unseren Geist, unseren Körper, unsere Geschichte, unsere Familie, unsere
Städte, unsere Seele und unser Mittagessen ausgesetzt! Allmählich glaubte
ich, dass meine Depression wohl ein in ständigem Wandel befindliches
Sammelsurium all dieser Faktoren war und wohl auch auf so manches
zurückzuführen, was ich weder benennen noch ausmachen konnte. Also nahm ich den
Kampf auf allen Ebenen auf. Ich kaufte mir all diese peinlich betitelten
Ratgeber (wobei ich darauf achtete, die Bücher stets in den neuesten Hustler zu
schlagen, damit niemand sehen konnte, was ich wirklich las). Ich begann die
professio nelle Hilfe einer Therapeutin in Anspruch zu nehmen, die
so gütig wie einsichtsvoll war. Ich betete wie eine Novizin im Kloster. Ich aß
(wenigstens für kurze Zeit) kein Fleisch mehr, da mir jemand erzählt hatte,
dass ich damit »die Angst der Tiere im Augenblick ihres Todes« äße. Irgendeine
New-Age-Massagetherapeutin erzählte mir, ich solle orangefarbene Slips tragen,
um meine Sexchakren auszubalancieren, und - hört, hört - ich hab es wirklich
getan. Ich trieb Sport. Ich hütete mich sorgsam vor traurigen Filmen, Büchern
und Liedern (wenn jemand im selben Satz »Leonard« und »Cohen« sagte, musste
ich das Zimmer verlassen).
    Ich bemühte mich, das endlose Schluchzen zu unterdrücken.
Als ich mich eines Nachts wieder mal in derselben alten Ecke meiner selben
alten Couch zusammengerollt hatte und wieder einmal bei denselben traurigen
Gedanken in Tränen schwamm, fragte ich mich: »Gibt es denn irgendetwas an dieser Situation, das du verändern könntest, Liz?« Und mir fiel
nichts anderes ein, als mich - weiterhin schluchzend - aufzurappeln und zu
versuchen, mitten in meinem Wohnzimmer auf einem Bein zu stehen. Nur um zu
beweisen, dass ich - obwohl ich die Tränen nicht aufhalten und meinen
trostlosen inneren Dialog nicht beeinflussen konnte - noch nicht alle Gewalt
über mich verloren hatte: Wenigstens konnte ich hysterisch weinen und
gleichzeitig auf einem Bein stehen.
    Ich überquerte die Straße, um in der Sonne zu gehen. Ich
stützte mich auf mein Netzwerk, besann mich auf meine Familie und pflegte die
Freundschaften, die meine Selbsterkenntnis am meisten beförderten. Und wenn
jene vor Eifer sich überschlagenden Frauenzeitschriften mir immer wieder
erzählten, dass mein geringes Selbstwertgefühl bei so einer Depression gar
nicht hilfreich sei, dann ließ ich mir einen flotten Haarschnitt verpassen,
kaufte tolles Make-up und ein schönes Kleid. (Wenn eine Freundin mir dann ein
Kompliment wegen meines neuen Looks machte, konnte ich nur grimmig erwidern:
»Operation Selbstwertgefühl - Tag eins.«)
    Nach zweijährigem Kampf gegen den Kummer waren die
Medikamente mein letzter Versuch. Und falls ich Sie hier mit meiner Meinung
belästigen darf: Ich finde, Medikamente sollten immer das Letzte sein, was man
ausprobiert. Die Entscheidung für diesen Weg fiel bei mir nach einer Nacht, in
der ich Stunde um Stunde auf dem Fußboden meines Schlafzimmers hockte und
versuchte, mich davon abzuhalten, mir mit dem Küchenmesser die Pulsadern
aufzuschneiden. In jener Nacht siegte ich in der Debatte mit meinem Messer - aber
nur knapp. Ich hatte damals noch ein paar andere gute Ideen: etwa, mein Leiden
zu beenden, indem ich von einem Hochhaus sprang oder mir mit einer Knarre das
Hirn wegpustete.

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