Gilbert, Elizabeth
Folgen
ständiger überstürzter Entscheidungen und chaotischer Leidenschaften, die mir
über den Kopf wuchsen. Vor meinem Abflug nach Rom war ich körperlich und
geistig am Ende. Ich fühlte mich wie die Scholle eines verzweifelten Landpächters
- so ausgelaugt, dass sie unbedingt mal eine Saison brachliegen muss. Das war
der Grund für meinen Ausstieg.
Der Ironie, die darin liegt, in einer Phase selbst
auferlegter Enthaltsamkeit nach Italien zu reisen, um dort dem Genuss zu
frönen, bin ich mir durchaus bewusst. Aber ich bin überzeugt, dass Abstinenz
momentan das Richtige für mich ist. Besonders sicher war ich mir dessen in der
Nacht, als eine Mitbewohnerin aus dem Stockwerk über mir (eine sehr hübsche
Italienerin mit einer erstaunlichen Kollektion hochhackiger Stiefel) mit dem
neuesten glücklichen Besucher ihrer Wohnung den längsten, lautesten und
knochenbrecherischsten Liebesakt vollführte, den ich jemals gehört hatte. Inklusive
Hyperventilier-Sound-Effekten und Raubtierstimmen dauerte dieser Slam-Dance
etwa eine Stunde. Eine Stunde lang lag ich allein und müde in meinem Bett und
konnte nur denken: Wie entsetzlich anstrengend das
alles klingt...
Natürlich überkommt mich manchmal die Lust. Täglich sehe
ich durchschnittlich ein Dutzend italienischer Männer, die ich mir ohne
weiteres in meinem Bett vorstellen könnte. Oder ihrem. Oder wo auch immer. Die
römischen Männer sind für meinen Geschmack geradezu lächerlich, unerträglich,
blödsinnig schön. Noch schöner sogar, um ehrlich zu sein, als die italienischen
Frauen. Die italienischen Männer sind ähnlich schön wie die französischen
Frauen, das heißt, ihr Perfektionswahn macht vor nichts Halt. Sie sind wie Pudel
auf Hundeschauen. Manchmal sehen sie so gut aus, dass ich applaudieren möchte.
Und will ich die hiesigen Männer beschreiben, bin ich gezwungen, auf kitschige
Phrasen zurückzugreifen. Sie sind »höllisch attraktiv« oder von »grausamer
Schönheit« oder »überraschend muskulös«.
Allerdings würdigen mich diese Römer auf der Straße - falls
ich etwas gestehen darf, das mir nicht unbedingt schmeichelt - im Grunde
keines zweiten Blickes. Eigentlich nicht mal viele erste Blicke. Am Anfang fand
ich das irgendwie alarmierend. Mit neunzehn war ich schon einmal in Italien
gewesen und hatte vor allem in Erinnerung, dass mich auf der Straße ständig
Männer belästigten. Und in den Pizzerias. Und im Kino. Und im Vatikan. Es war
schrecklich. Eine echte Belastung, etwas, das einem fast den Appetit verderben
konnte. Und nun, im Alter von vierunddreißig Jahren, bin ich anscheinend
unsichtbar geworden. Gewiss, zuweilen macht einer eine freundliche Bemerkung -
»Sie sehen heute wunderbar aus, signorina« -, aber es
passiert nicht mehr oft, und nie ist es aufdringlich. Und obwohl es natürlich
angenehm ist, nicht von irgendeinem Fremden im Bus begrapscht zu werden, habe
ich ja dennoch meinen weiblichen Stolz und frage mich: Wer hat
sich hier eigentlich verändert? Ich? Oder sie?
Also höre ich mich ein bisschen um, und alle sind sich einig,
dass sich, tja, während der letzten zehn bis fünfzehn Jahre ein echter Wandel
vollzogen hat in Italien. Vielleicht ist es ein Sieg des Feminismus oder eine
kulturelle Evolution. Vielleicht ist es auch nur schlicht und einfach
Verlegenheit auf Seiten der jungen Männer angesichts der berüchtigten Lüsternheit
ihrer Väter und Großväter. Doch was immer die Ursache ist, es scheint, als sei
die italienische Gesellschaft zu dem Schluss gelangt, dass diese Art von
bedrängendem und zu Leibe rückendem Verhalten gegenüber Frauen nicht mehr
akzeptabel ist. Nicht einmal meine hübsche junge Freundin Sofie wird auf der
Straße belästigt, und die blonden Nordeuropäerinnen traf es früher wirklich am
schlimmsten.
Es scheint also, als dürften sich die italienischen Männer
die Auszeichnung für diese verbesserten Umgangsformen an die Brust heften.
Was mich natürlich erleichtert, weil ich schon befürchtet
hatte, es läge an mir. Ich meine, ich fürchtete schon,
man beachte mich womöglich deswegen nicht, weil ich nicht mehr neunzehn und
hübsch war. Ich hatte Angst, dass vielleicht mein Freund Scott Recht hatte,
als er letzten Sommer behauptete: »Ach, mach dir keine Sorgen, Liz - diese
Italiener werden dir nicht mehr zu schaffen machen. Es ist nicht wie in
Frankreich, wo sie auch auf die Alten stehen.«
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Gestern Nachmittag war ich mit Luca Spaghetti und seinen
Freunden beim Fußball. Wir
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