Gilbert, Elizabeth
sonst keine Verpflichtungen hatte,
destillierte sich diese Frage schließlich ganz klar heraus.
Nachdem ich mir selbst die Genussgenehmigung erteilt
hatte, fand ich es interessant festzustellen, was in Italien ich dann doch
nicht tun wollte. Es gibt so viele Ausprägungen des Genusses in Italien, ich
musste nicht alle ausprobieren. Man muss sich hier irgendwie auf ein
»Hauptfach« festlegen, sonst wächst einem das Vergnügen über den Kopf. Da das
bei mir der Fall war, befasste ich mich gar nicht erst mit Mode, Oper, Kino,
tollen Autos oder Skifahren in den Alpen. Nicht einmal allzu viel Kunst wollte
ich sehen. Zwar schäme ich mich ein wenig, es zuzugeben, aber ich habe während
meiner vier Monate in Italien kein einziges Museum besucht. (Doch, noch
schlimmer: Ich war in einem einzigen Museum: dem Nationalmuseum der Nudel.) Ich
stellte fest, dass ich im Grunde nur gut essen und möglichst oft Italienisch
sprechen wollte. Das war alles. Im Grunde also entschied ich mich für ein
Doppelstudium - Reden und Essen (mit dem Schwerpunkt auf gelato).
All das Vergnügen, das mir dieses Essen und Reden bereitete,
war unschätzbar und trotzdem so einfach. Mitte Oktober genoss ich einige
Stunden, die dem Leser vielleicht unbedeutend erscheinen, die ich aber stets
zu den glücklichsten meines Lebens zählen werde. Ich entdeckte einen Markt unweit
meiner Wohnung, nur ein paar Straßen entfernt, der mir aus irgendeinem Grund
vorher nie aufgefallen war. Dort ging ich zu einem kleinen Stand, an dem eine
Italienerin und ihr Sohn eine erstklassige Auswahl an Gemüse feilboten zum
Beispiel prachtvollen, fast algengrünen Spinat, blutrote Tomaten oder
champagnerfarbene Trauben mit Häuten prall wie das Trikot eines Revuegirls.
Ich entschied mich für ein Bund weißen Spargel. Ich fragte
die Frau auf Italienisch, ob ich nur die Hälfte des Spargels haben könne. Ich
sei allein, erklärte ich ihr, und brauchte nicht viel. Sofort nahm sie mir den
Spargel aus der Hand und halbierte das Bund. Ich fragte sie, ob es diesen Markt
jeden Tag hier gebe, und sie sagte, ja, jeden Tag ab sieben Uhr früh sei sie
da. Und der hübsche Sohn warf mir einen verschmitzten Blick zu und meinte: »Na
ja, sie versucht es zumindest ...« Wir lachten. Dieses kurze Gespräch fand auf
Italienisch statt - in einer Sprache, von der ich wenige Monate zuvor noch
kein einziges Wort beherrscht hatte.
Ich ging nach Hause und kochte mir zum Lunch zwei frische
braune Eier. Ich schälte sie und legte sie auf einen Teller neben die sieben
Spargelstangen (die so dünn und knackig waren, dass sie nicht gekocht werden
mussten). Ich legte auch noch ein paar Oliven dazu und die vier Stückchen Ziegenkäse,
die ich am Vortag in der formaggetta in meiner
Straße gekauft hatte, sowie zwei Scheiben öligen Lachs. Zum Nachtisch gab es
einen schönen Pfirsich, den mir die Marktfrau geschenkt hatte und der noch
warm war von der römischen Sonne. Lange konnte ich das alles nicht einmal
anrühren, weil es ein solches Meisterwerk war - authentischer Ausdruck der
Kunst, aus nichts etwas zu machen. Schließlich, als ich die Schönheit meiner
Mahlzeit ausgiebig genossen hatte, setzte ich mich in einen sonnigen Fleck auf
meinem Dielenboden und aß das Ganze, während ich meinen täglichen
italienischen Zeitungsartikel las, restlos auf. Ich spürte das Glück in jeder
Faser meines Herzens.
Bis dann - wie es mir in den ersten Monaten meines Reisejahrs
oft in solchen Glücksmomenten passierte – mein Schuldalarm schrillte. Ich
hörte die Stimme meines Exmannes, der mir verächtlich ins Ohr zischte: »Dafür
also hast du alles aufgegeben? Deswegen hast du unser gemeinsames Leben
zerstört? Für ein paar Spargelstangen und eine italienische Zeitung?«
Da erhob ich die Stimme. »Zunächst einmal: Es tut mir sehr
Leid, aber das hier geht dich nichts mehr an. Und zweitens,
um deine Frage zu beantworten: Ja.«
22
Was nun meine Jagd nach Vergnügen in Italien angeht,
bleibt eines natürlich noch anzusprechen: Wie steht es mit Sex?
Um diese Frage ganz einfach zu beantworten: Ich will keinen.
Um sie gründlicher und ehrlicher zu beantworten: Selbstverständlich fehlt er
mir manchmal ganz furchtbar, aber ich habe beschlossen, mich in dieser Hinsicht
eine Weile zurückzuhalten. Ich will mich mit niemandem einlassen. Natürlich
vermisse ich es, geküsst zu werden, weil ich das Küssen einfach liebe. (Und ich
beklage mich bei Sofie so häufig darüber, dass sie vorgestern
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