Gilbert, Elizabeth
auf mich und kann sich das
Lachen kaum verkneifen. Sobald er mein verwirrtes und erschöpftes Gesicht
sieht, neckt er mich: »Meinst du, aus dir wird noch mal was, Groceries?«
Als ich aber heute Morgen beim Meditieren den Löwen
brüllen hörte (Du hast ja keine Ahnung, wie stark meine Liebe
ist!), verließ ich die Meditationshöhle wie eine Kriegerin.
Richard fand nicht mal Zeit, mich zu fragen, ob ich meinte, dass noch mal was
aus mir werde, da blickte ich ihm schon direkt in die Augen und erklärte:
»Bin's schon, Mister.«
»Na, so was«, meinte Richard. »Das ist aber ein Grund zum
Feiern. Komm, Kleines, ich nehm dich mit in die Stadt und kauf dir ein
Thumbs-up.«
Thumbs-up ist ein indisches Getränk, eine Art Coca-Cola,
aber mit etwa neunmal so viel Sirup und einem Drittel des Koffeins. Ich glaube,
es enthält auch Amphetamine. Wenn ich es trinke, sehe ich alles doppelt. Mehrmals
pro Woche wandern Richard und ich ins Städtchen und teilen uns eine kleine
Flasche Thumbs-up - ein genussreicher Kontrast zur Naturbelassenheit des
vegetarischen Ashram-Essens -, wobei wir uns stets bemühen, die Flasche nicht
mit den Lippen zu berühren. Richards Regel für das Reisen in Indien ist
absolut vernünftig: »Berühre niemanden außer dich selbst.« (Ja, auch das war
als Titel für dieses Buch im Gespräch.)
Wir haben unsere »Lieblingsanlaufstationen« im Städtchen,
halten stets an, um den Tempel zu besuchen und bei Mr Panikar, dem Schneider,
vorbeizuschauen, der uns die Hand schüttelt und jedes Mal sagt: »Gratuliere,
Sie kennen zu lernen!« Wir beobachten die Kühe, die umherstreunen und ihren
Heiligenstatus genießen (ich glaube, dass sie das Privileg zuweilen
missbrauchen, etwa wenn sie sich mitten auf der Straße niederlassen, nur um zu
demonstrieren, dass sie heilig sind), und wir sehen den Hunden zu, die sich
kratzen, als fragten sie sich, wie sie hier gelandet sind. Wir schauen den
Frauen zu, die barfuß unter der sengenden Sonne Steine klopfen, Vorschlaghämmer
schwingen und dabei so seltsam schön aussehen in ihren bunten Saris und mit
ihren Halsketten und Armreifen. Sie werfen uns ein strahlendes Lächeln zu, das
ich nicht einmal annähernd begreife - wie können sie glücklich sein, wo sie
doch unter so schrecklichen Bedingungen derartige Schwerstarbeit verrichten?
Ich rich te die Frage an Mr Panikar, den Schneider, und er erklärt,
dass die Leute in diesem Teil der Welt zu dieser schweren Arbeit geboren seien
und nichts anderes als Arbeit kennen würden.
»Außerdem«, fügt er beiläufig hinzu, »leben wir hier nicht
allzu lange.«
Es ist natürlich ein armes Dorf, aber für indische Verhältnisse
nicht furchtbar arm; der Ashram und die Devisen der Pilger machen sich durchaus
wirtschaftlich bemerkbar. Nicht, dass es viel zu kaufen gäbe, aber Richard und
ich sehen uns gern in den Läden um, die Perlen und kleine Statuen verkaufen.
Es gibt einige Kaschmiris, wirklich sehr gerissene Verkäufer, die immer wieder
versuchen, ihre Ware an uns loszuwerden. Einer von ihnen ist mir heute doch tatsächlich
nachgelaufen, um zu fragen, ob Madam nicht vielleicht
einen schönen Kaschmirteppich für ihr Haus kaufen wolle.
Was Richard zum Lachen brachte. Er macht sich nämlich gern
über meine »Obdachlosigkeit« lustig.
»Spar dir die Spucke, Bruder«, sagte er zu dem Teppichverkäufer.
»Das alte Mädchen hat keine Fußböden, auf die es einen Teppich legen könnte.«
Unbeeindruckt schlug der Verkäufer vor: »Vielleicht wollen Madam ja einen Teppich an ihre Wand hängen?«
»Sieh mal«, meint Richard, »das ist doch das Problem - sie
ist momentan auch 'n bisschen knapp an Wänden.«
»Aber ich hab ein unerschrockenes Herz!«, meldete ich mich
zu meiner Verteidigung.
»Und andere rühmenswerte Eigenschaften«, fügte Richard
hinzu, um mir ausnahmsweise mal einen Knochen hinzuwerfen.
52
Der größte Störfaktor im Ashram ist im Grunde nicht die
Meditation. Die ist natürlich problematisch, aber nicht mörderisch. Wirklich
mörderisch ist das, was wir Morgen für Morgen zwischen Meditation und Frühstück
absolvieren: ein Chant, der sich Gurugita nennt.
Richard nennt ihn Geet. Die Geet bereitet
mir echte Probleme. Ich kann sie nicht ausstehen, konnte es nie, schon damals
nicht, als ich sie im Ashram im Norden des Bundesstaats New York zum ersten Mal
hörte. Alle anderen Chants und Hymnen dieser yogischen Tradition liebe ich,
aber die Gurugita erscheint mir lang, dröge,
dröhnend und unerträglich.
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