Gilbert, Elizabeth
ich den Tempel betreten hatte, schwitzte ich bereits,
kochte und brodelte es schon in mir. Es sind nur eineinhalb Stunden, redete ich
mir immer wieder ein. Eineinhalb Stunden lang hält man alles aus, Liz. Verdammt
noch mal, du hast Freundinnen, die vierzehn Stunden in den Wehen lagen ...
Trotzdem, auch wenn man mich auf diesem Stuhl festgebunden hätte, ich hätte
mich nicht unwohler fühlen können. Immer wieder fühlte ich Feuerbälle über
mich hinweggehen und meinte, in Ohnmacht fallen oder vor Zorn etwas zerbeißen
zu müssen.
Meine Wut war gigantisch. Und richtete sich gegen alles
auf dieser Welt, hauptsächlich aber gegen Swamiji - den Meister meiner
Meisterin, der dieses rituelle Chanten der Gurugita überhaupt
erst eingeführt hatte. Es war nicht meine erste schwierige Begegnung mit dem
großen, inzwischen verstorbenen Yogi. Schon in meinem Strand-Traum war er zu
mir gekommen und hatte von mir wissen wollen, wie ich der nahenden Flut Einhalt
zu gebieten gedächte, und immer hatte ich das Gefühl, als wolle er mich
schikanieren. Er war so anders als meine lebende Meisterin, die jeden Raum mit
einem so warmen, beruhigenden Mitgefühl erfüllt. Swamiji war erbarmungslos, ein
geistiger Brandstifter.
Wie der heilige Franz von Assisi war Swamiji in eine reiche
Familie hineingeboren worden, und man erwartete von ihm, dass er eines Tages
die väterliche Firma übernahm. Aber schon als Kind war er in einem Nachbardorf
einem heiligen Mann begegnet, ein Erlebnis, das ihn zutiefst berührte und
inspirierte. Noch als Teenager verließ er im Lendenschurz sein Elternhaus und
verbrachte Jahre damit, zu allen heiligen Flecken Indiens zu pilgern und nach
einem wahren geistigen Meister zu suchen. Über sechzig Heilige und Gurus soll
er kennen gelernt haben, ohne je den ersehnten Meister zu finden. Er hungerte,
reiste zu Fuß, übernachtete bei Schneesturm in den Bergen des Himalaja,
erkrankte an Malaria und Ruhr - und nannte dies die glücklichsten Jahre seines
Lebens, Jahre, in denen er einzig und allein jemanden suchte, der ihm Gott
zeigen würde. Im Laufe dieser Jahre wurde aus Swamiji ein Hatha-Yogi, Experte
für ayurvedische Medizin und Kochkunst, Architekt, Gärtner, Musiker und Schwertkämpfer
(das gefällt mir). Im Alter von etwa vierzig Jahren, als er immer noch keinen Guru
gefunden hatte, begegnete er eines Tages einem nackten, verrückten Weisen, der
ihm sagte, er solle wieder nach Hause gehen, zurück in das Dorf, wo er als
Kind den heiligen Mann getroffen habe, und bei diesem großen Heiligen
studieren.
Swamiji gehorchte, kehrte heim und wurde der eifrigste
Schüler des heiligen Mannes, um schließlich unter Anleitung dieses Meisters
Erleuchtung zu erlangen. Und am Ende wurde Swamiji dann selbst Guru. Nach und
nach wuchs sein indischer Ashram von drei Zimmern auf einem ärmlichen Gehöft
zu den üppigen Gärten von heute heran. Und dann empfing er die Inspiration, auf
Reisen zu gehen und eine weltweite Meditationsrevolution anzuzetteln. In den
siebziger Jahren kam er nach Amerika, wo er unzählige Menschen vom Hocker
haute. Tag für Tag vollzog er an Hunderten, ja Tausenden von Leuten das
Initiationsritual Shaktipat. Seine Macht wirkte unmittelbar und
verwandelnd. Reverend Eugene Callender (ein geachteter Bürgerrechtler, Kollege
von Martin Luther King und noch heute Pastor einer Baptistengemeinde in Harlem)
erinnert sich, Swamiji in jener Zeit begegnet zu sein. Verblüfft sei er vor
dem Inder auf die Knie gefallen und habe gedacht: Wir haben keine Zeit, uns
'nen Bären aufbinden zu lassen ... Dieser Mann weiß alles von dir, was es zu
wissen gibt.
Swamiji verlangte Begeisterung, Engagement, Selbstbeherrschung.
Er schalt die Leute immer, weil sie jad (das Hindiwort
für »träge«) waren. Er brachte den rebellischen jungen westlichen Anhängern
Disziplin bei, befahl ihnen, ihre Zeit und Energie (und auch die aller anderen)
nicht weiter mit Hippie-Quatsch zu verschwenden. Er konnte in einem Moment
seinen Spazierstock nach dir werfen und dich im nächsten umarmen. Er war
kompliziert, oft voller Widersprüche, aber wahrhaft ein Weltveränderer. Dass
wir heute im Westen Zugang zu vielen alten yogischen Schriften haben, verdanken
wir Swamiji, der die Übersetzung und Verbreitung philosophischer Texte
vorantrieb, die lange (sogar in vielen Teilen Indiens) vergessen waren. Er war
also ein großer Gelehrter. Zuweilen aber auch ein boshafter Schelm. Einen
besonders verträumten jungen Mann fragte er einmal, womit er
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