Gilbert, Elizabeth
den achtziger Jahren
den väterlichen Hof verließ, um Indien zu bereisen und mittels Yoga nach
innerem Frieden zu suchen. Dem Osten zu! Einige
Jahre später kehrte er nach Irland zurück. Mit seinem Vater - der sein Leben
lang Farmer gewesen war und nicht viele Worte machte - saß er in der Küche des
alten Steinhauses. Er erzählte ihm von seinen spirituellen Entdeckungen. Seans
Vater lauschte mit mäßigem Interesse, starrte ins Feuer und rauchte seine
Pfeife. Er sagte nichts, bis Sean schließlich meinte: »Dad - diese Meditation,
die ist ganz entscheidend, um Gelassenheit zu finden. Kann dir wirklich das
Leben retten. Lässt dich innerlich zur Ruhe kommen.«
Da wandte sich der Vater ihm zu und sagte freundlich: »Ich
bin schon zur Ruhe gekommen, Sean«, um anschließend wieder ins Feuer zu
starren.
Aber ich nicht. Und Sean auch nicht. Viele von uns sind es
nicht. Viele von uns starren ins Feuer und sehen nur ein loderndes Inferno.
Was Seans Vater von Geburt an zu wissen scheint, muss ich mir erst aneignen -
nämlich wie man sich, wie Walt Whitman einmal schrieb, »neben das Gerangel«
stellt, und zwar »amüsiert, zufrieden, mitfühlend, müßig, eins mit sich
selbst..., sowohl im Spiel als auch draußen, und das Ganze verwundert betrachtend«.
Statt amüsiert zu sein, bin ich allerdings nur verängstigt. Statt zuzuschauen,
hake ich überall nach und mische mich ein. Gern würde ich mich mal eine Weile
neben mein inneres Gerangel stellen. Vorgestern sagte ich beim Beten zu Gott:
»Ich versteh ja, dass ein Leben ohne Prüfungen nicht lebenswert ist, aber
meinst du nicht, ich könnte vielleicht mal ein Mittagessen ohne Prüfungen
hinter mich bringen?«
In der buddhistischen Überlieferung gibt es eine Geschichte
über die Augenblicke, die der Erleuchtung des Buddha folgten. Als sich - nach
neununddreißig Tagen der Meditation - der Schleier der Illusion schließlich hob
und dem Meister die wahren Wege des Universums enthüllt wurden, soll er die
Augen aufgeschlagen und gesagt haben: »Dies kann man nicht lehren.« Dann aber
änderte er seine Meinung, beschloss, dennoch in die Welt hinauszuziehen und
den Versuch zu wagen, die Meditationspraxis einer kleinen Hand voll Schüler
nahe zu bringen. Nur für wenige Menschen, das wusste er, würden seine Lehren
von Nutzen (oder auch nur von Interesse) sein. Den meisten - so der Buddha - habe
der Staub der Täuschung derart die Augen verklebt, dass sie - egal wer ihnen
auch zu helfen versuche - niemals die Wahrheit erkennen würden. Einige andere
(wie vielleicht Seans Vater) sind schon von Geburt an klarsichtig und ruhig
genug, um keinerlei Unterweisung oder Hilfe mehr zu benötigen. Es gibt aber
auch die, deren Augen nur leicht verklebt sind und die mit Hilfe des richtigen
Meisters vielleicht eines Tages lernen könnten, klarer zu sehen. Der Buddha entschloss
sich, ein Lehrer zum Nutzen und Frommen dieser letztgenannten Minderheit zu
werden.
Ich hoffe inständig, zu dieser Minderheit zu gehören, aber
ich bin mir nicht sicher. Ich weiß nur, dass ich gezwungen wurde, auf Wegen
nach innerem Frieden zu suchen, die anderen Menschen vielleicht etwas
drastisch vorkommen. (Als ich einem Freund in New York beispielsweise erzählte,
dass ich nach Indien gehen wolle, um in einem Ashram zu leben und Gott zu
suchen, meinte der seufzend: »Oh, es gibt da was in mir, das wünscht sich so
sehr, ich würde das auch wollen... Tatsächlich aber verspüre ich nicht die
geringste Lust dazu.«)
Für mich allerdings sehe ich keine andere Möglichkeit.
Schon so viele Jahre, und auf so viele Weisen suche ich verzweifelt nach
Zufriedenheit; doch all die dabei errungenen Fortschritte und vollbrachten
Leistungen haben mich letztlich nur zur Strecke gebracht. Wenn man dem Leben so
erbarmungslos nachjagt, hetzt es einen schließlich zu Tode. Wenn man das Glück
verfolgt wie einen Ganoven, wird es sich am Ende wie ein solcher verhalten,
wird stets eine Stadt voraus sein, Namen und Haarfarbe wechseln, um einem zu
entwischen, sich zur Hintertür des Motels hinausschleichen, während man gerade
mit dem neuesten Suchbefehl durch die Lobby poltert, und - um einen zu foppen -
nur eine glühende Zigarette im Aschenbecher zurücklassen. Irgendwann aber muss man
damit aufhören, weil das Glück einfach nicht verweilt. Muss man zugeben, dass
man es nicht einholen kann. Nicht einholen soll. Irgendwann muss man, wie
Richard mir immer wieder beteuert, loslassen und stillsitzen und zulassen,
dass Glück und
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