Gilde der Jäger 01 - Engelskuss
Elena. Bin ich nicht.« Als er die Faust öffnete, rieselte blauer Staub auf den Boden.
Wie er das angestellt hatte, wollte sie lieber gar nicht wissen. »Macht es dir etwas aus, in das Haus einzubrechen?«
»Schlangengift sagte mir, dass kein Herz in diesem Haus mehr schlägt.«
Ihr Magen krampfte sich zusammen. »Tod? Riecht er den Tod?«
»Ja.« Er ließ ihren Arm los und ging voraus.
Elena warf einen Blick auf das Haus und auf die Straße dahinter, wo sie Schlangengift erspähte, der unbeweglich diesseits des Tores verharrte. Er sah aus wie ein Leibwächter, Schrägstrich Chauffeur. Ganz normal für eine stinkreiche Nachbarschaft wie diese. Zufrieden, dass er ihnen etwaige Besucher vom Hals halten würde, folgte sie Raphael zur Eingangstür. »Warte mal«, sagte sie, als er die Hand auf die Klinke legte. »Wir könnten die Alarmanlage auslösen und Aufmerksamkeit erregen.«
»Alles schon erledigt.«
Sie dachte daran, wie schnell sich Vampire bewegen konnten. »Schlangengift?«
Er nickte. »Er ist darin sehr geschickt.«
»Warum überrascht mich das nicht?«, murmelte sie und kämpfte gegen die Übelkeit an, die der vom Haus kommende Geruch bei ihr verursachte. »Oh Gott.«
Raphael schob die Tür ganz auf. »Komm, Elena.« Auffordernd hielt er ihr die Hand hin.
Sie starrte darauf. »Ich bin eine Jägerin.« Dennoch ergriff sie seine Hand. Manche Albträume waren einfach zu schrecklich, um ihnen ganz allein entgegenzutreten.
Gemeinsam traten sie über die Schwelle, Raphaels Flügel passten mühelos durch die Tür. »Für einen Engel entworfen«, sagte sie und blickte erstaunt auf die riesige offene Eingangshalle. Im gesamten Erdgeschoss gab es keine einzige Wand. Der Teppich im Wohnbereich war ein einziger Rorschachtest, Rot auf Weiß.
Eigentlich hätte es eine explosive Farbmischung sein müssen, aber stattdessen war es ein merkwürdiges unspezifisches Grau. Die zugezogenen Vorhänge verliehen dem Raum ein dumpfes und düsteres Flair, das jegliches Geräusch zu dämpfen schien… und alles andere umso intensiver hervortreten ließ.
Verwesung. Säure. Sex.
Von den Aromen, die sich auf ihrer Zunge vermengten, drehte sich ihr der Magen um. »Er hat mit ihnen geschlafen.«
Mit flammend blauen Augen blickte Raphael hoch zu den Leichen, die vom Dachbalken hingen. »Bist du dir sicher?«
»Ich rieche es.« Wenngleich sie nur Vampire mittels ihres Duftes aufspüren konnte, war ihr Geruchssinn dennoch viel besser entwickelt als bei gewöhnlichen Menschen. Und offenbar auch besser als bei Erzengeln.
»Kein Blut.«
Sie starrte auf die Flecke im Teppich. »Und wie nennst du das?« Auf keinen Fall würde sie wieder hochschauen und noch mehr von diesen widerlichen Einzelheiten, die sich ihr schon bei einem einzigen flüchtigen Hinsehen in ihr Gehirn eingebrannt hatten, aufnehmen.
Herabhängende Gliedmaßen, die sich im Luftzug der Klimaanlage hin und her bewegten, vor Entsetzen verzerrte Gesichter. Fahle aufgerissene Haut, blaue Lippen. Mit ihren eigenen Haaren erdrosselte Tote.
Raphael drückte ihre Hand und zog sie fort von dem Abgrund des Entsetzens, vor dem sie stand. »Er hat ihr Blut nicht angerührt. Die Wunden sind zwar brutal, aber es gibt keine Anzeichen dafür, dass er getrunken hat.«
Sie wusste sofort, dass es keine medizinische Untersuchung geben würde, die das bestätigen könnte. Wenn sie überhaupt eine Chance hatten, Uram aufzuspüren und ihm das Handwerk zu legen, dann musste sie sichergehen und sich die Wunden genau ansehen. »Hol sie runter.« Ihre Stimme war heiser. »Ich muss mir die Wunden genau anschauen.«
Er ließ ihre Hand los. »Gib mir dein Messer.«
Sie legte es ihm in die flache Hand und beobachtete, wie er durch die zinnoberrote Explosion im Wohnzimmer schritt. Dabei hielt er die Flügel so von seinem Körper abgespreizt, dass sie nicht auf den Boden auftrafen. Dann stieß er sich mit einem einzigen Flügelschlag ab.
Von dem Lufthauch schwangen die Leichen hin und her.
Elena rannte zur Tür hinaus in den Garten, wo sie nun schon zum zweiten Mal an diesem Tag ihren Magen entleerte. Er krampfte sich schmerzhaft zusammen, selbst dann noch, als alles schon draußen war, und als ihr ein Wasserschlauch hingehalten wurde, griff sie danach wie nach einem Rettungsanker, spülte sich den Mund aus und wusch sich das Gesicht ab, bevor sie das nach Plastik schmeckende Wasser gierig trank, als sei es der köstlichste Nektar. »Danke.« Sie ließ den Schlauch fallen und sah
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