Gilde der Jäger 01 - Engelskuss
Zeit, glückliche Familie zu spielen.«
»Dann hast du vielleicht Zeit, die Sauerei hier wegzumachen, die dein Freund hinterlassen hat.«
Ihr stockte das Herz. »Wovon sprichst du?«
»Ich bin ziemlich sicher, dass sie noch am Leben war, als er sie auseinandergebrochen und ihr die Eingeweide aus dem Leib gerissen hat.«
33
Raphael flog sie zum Haus ihres Vaters und landete so anmutig, dass es Zuschauern bestimmt den Atem verschlagen hätte. Aber zu dieser frühen Morgenstunde waren in dieser vornehmen Gegend nur die Vögel unterwegs.
Sobald sie gelandet waren, schlug ihr der Geruch in die Nase. Der mittlerweile vertraute stechende Säuregeruch, versetzt mit sattem, frischem Blut. »Uram«, sagte sie zu Raphael, als sie sich die Stufen zur Haustür hinaufbegaben. »Er weiß, dass ich ihm auf den Fersen bin.«
Prüfend warf Raphael einen Blick auf die Straße zurück. »Entweder hat er die Gedanken von jemandem gelesen, der von deiner Beteiligung weiß, oder er hat dich bei der Jagd beobachtet.«
»Zauber.« Sie kniff die Lippen zusammen und trat durch die Tür, die ihr Vater für sie offen gelassen hatte. »Jeffrey ist in seinem Arbeitszimmer. Er sagte, die Tote befinde sich oben in der Wohnung.« Eine Wohnung, von der sie bislang angenommen hatte, dies sei die Erweiterung der Büroräume ihres Vaters.
Sie gingen direkt die Treppe hoch. Gerade als sie hineingehen wollte, kam ihr Geraldine in den Sinn. Blasse Haut, tadelloses Kostüm, Vampirduft, vermischt mit ihrem Parfüm. »Scheiße.« Sie trat ein.
Das Wohnzimmer war leer. Erst als sie sicher war, keine Beweise zu vernichten, überquerte sie den Teppich und folgte dem Geruch zu einer Tür, die, wie sich herausstellte, in das Schlafzimmer führte. Die Frau lag genauso da, wie Jeffrey es beschrieben hatte. Sie sah aus, als hätte jemand angefangen, eine Autopsie an ihr vorzunehmen, und sei mitten in seiner Arbeit unterbrochen worden. Ihr Brustkorb war aufgebrochen und ließ ihre inneren Organe sehen, Hautlappen hingen zu beiden Seiten herunter.
Aber das war es nicht, was Elena an der Türschwelle plötzlich stocken ließ.
Sie hatte mit Geraldine gerechnet, aber diese Frau war nicht Geraldine. Die goldene Haut der Toten ließ vielmehr an tropische Gefilde denken, und ihre Haare waren ein helles Blond. Sie war von zartem Knochenbau und eher von durchschnittlicher Größe. Ihren weichen Lippen war immer noch anzusehen, dass sie oft gelächelt hatten. Sie ballte die Fäuste. »Das ist Urams Werk.« Sie schleuderte die Worte wütend hervor. »Ich werde mich sofort auf den Weg machen.«
Gerade wollte sie sich an Raphael vorbeidrängen, da hielt er sie am Arm fest. »Geh nicht leichtsinnig Risiken ein, nur weil du sauer auf deinen Vater bist.«
»Ich bin nicht sauer.« Ihre Gefühle gingen wild durcheinander, sie wusste selbst nicht mehr, was sie fühlte. »Sie sieht aus wie meine Mutter«, stieß sie hervor. Eine schwache Nachahmung, eine dürftige Kopie nur. Aber ganz anders als Jeffreys neue kühle Gattin Gwendolyn.
»Sie war seine Geliebte.«
»Du hast Bescheid gewusst?« Natürlich hatte er es gewusst– der Kader der Zehn würde doch niemandem trauen, den er nicht auf Herz und Nieren geprüft hatte. »Ist ja auch egal. Um meinen Vater geht es hier nicht– Uram hat angefangen, mich und die Meinen zu jagen. Er hat uns einen Köder hingeworfen.«
Raphael gab sie frei und trat ins Zimmer. »Dein Vater hat gesagt, sie sei noch warm gewesen, als er sie gefunden hat?«
Mit einer fahrigen Bewegung pflichtete sie ihm bei, ihr ganzer Körper stand unter Schock. »Er hat ihr den Puls gefühlt.« Weiß der Geier, warum. »Das heißt, lange ist Uram noch nicht wieder unterwegs. Höchstens seit ein paar Stunden.«
»Ich glaube, er hat ihr Blut nicht angerührt. Außer den Verletzungen, die zu ihrem Tod geführt haben, gibt es keine Hinweise darauf.«
»Ist wahrscheinlich immer noch übersatt.« Sie konnte es nicht fassen, dass ihre Stimme so normal klang, dabei stand sie kurz vor einem Zusammenbruch. Nach Marguerites Tod hatte Jeffrey ihr und Beth verboten, den Namen der Mutter auch nur zu erwähnen, obgleich er mit diesem Schatten ihrer verstorbenen Mutter gelebt hatte. Aber für Jeffreys Unaufrichtigkeit konnte diese auf brutale Weise ums Leben gekommene fremde Frau nichts– sie hatte es verdient, dass ihr Mörder der gerechten Strafe des Kaders zugeführt wurde.
»Übersättigt«, wiederholte sie, bemüht, ihre immer wieder davonlaufenden Gedanken
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