Gilde der Jäger 01 - Engelskuss
gewaltsam in den Griff zu bekommen, »aber nicht dumm.« Langsam agierte Uram wie ein verstandesgelenktes Wesen. »Vampire im Blutrausch erreichen dieses Stadium für gewöhnlich erst nach drei oder vier Monaten. Und der Einzige, der seine Verwandlung so lange überlebt hat, war…« Der Name blieb ihr im Halse stecken, tückisch und bösartig.
»Slater Patalis«, vollendete Raphael den Satz für sie. »Schlangengift ist da, um hier aufzuräumen. Ich werde über dem Haus kreisen, und Dmitri hat Befehl, sich fernzuhalten.«
»Gut.« Sie wandte den Blick ab, es war ihr ganz unmöglich, diese Frau auf dem Bett anzuschauen. »Was ist mit meinem Vater?«
»Er weiß lediglich, dass seine Geliebte von einem bösartigen Vampir ermordet wurde. Umso besser für uns, wenn sich seine Version herumspricht.«
Als sie hinuntergingen, nahm Elena Schlangengifts Geruch wahr, der sich die Treppen hochschlängelte. »Die Ermordete hat Angehörige«, sagte der Vampir. »Doch niemanden hier in der Stadt.«
Auf einmal durchfuhr sie ein erschreckender Gedanke. »Hatte sie Kinder?« Einen Bruder oder eine Schwester, von der sie nichts wusste?
Doch Raphael konnte sie beruhigen. »Nein, da bin ich mir ganz sicher.«
Daraufhin nickte Elena nur kurz, und er wandte sich wieder Schlangengift zu. »Die Tote darf auf keinen Fall hier gesucht oder gefunden werden.«
»Selbstverständlich nicht. Ich werde eine falsche Fährte legen, die aus der Stadt hinausführt.« Der Vampir ging an ihnen vorbei die Treppe hoch. »Jason ist zurück.«
Als sie unten in der Halle standen, wollte Elena aus einem Impuls heraus zu ihrem Vater ins Arbeitszimmer gehen, aber sie unterließ es, denn am Ende würden sie sich sowieso nur wieder anschreien. »Wer ist denn Jason?«, fragte sie stattdessen und konzentrierte sich darauf, Schlangengifts Geruch auszublenden, um Urams Witterung aufzunehmen.
»Einer meiner Sieben.«
Der Blutengel ist durch die Hintertür verschwunden, dachte sie und folgte der Fährte. »Warum lässt du die Leiche verschwinden? Sie ist zwar übel zugerichtet, sieht aber doch immer noch nach einem klassischen Vampiropfer aus.«
»Vielleicht hat Uram sie gezeichnet.«
Sie öffnete die Hintertür und fühlte etwas Klebriges an ihren Händen. Rostrote Flecken. Getrocknetes Blut. »Er spielt mit uns.« Sie wischte sich die Hände an der Hose ab. Viel lieber hätte sie sie richtig gewaschen, aber vielleicht würde sie dann die Spur verlieren. Die Fährte war ganz frisch. Durch den vorangegangenen reinigenden Regen waren viele alte Gerüche weggewaschen worden, und die neuen traten nun voller und intensiver hervor.
Ein paar Schritte von der Tür entfernt stieß sie erneut auf Blut. Sie wollte sich nicht ausmalen, woher es stammte, da Uram doch so gerne Souvenirs sammelte. Das brachte sie auf… »Michaela?«
»Ich habe sie schon gewarnt.«
In der frischen, reinen Luft konnte sie Urams Witterung beinahe sehen. Sie lief los, nahm kaum Notiz von dem Wind, den Raphaels Flügel beim Aufsteigen aufwirbelten. Eine Gruppe von Pendlern, die schon früh am Morgen unterwegs waren, wichen ihr aus, als sie aus dem schmalen Durchgang schoss und in die belebte Straße gegenüber einbog, aber niemand sah nach oben. Der Zauber, dachte sie. Bei dem Gedanken, dass Uram sie schon die ganze Zeit während der Jagd beobachtet haben könnte, überkam sie eine Gänsehaut.
Noch ein Blutstropfen, den die vielen Füße schon in den Asphalt gerieben hatten, die schon unterwegs gewesen waren, während die Stadt und ihre Bewohner erst langsam erwachten. Unbeirrt rannte sie weiter, wich gut gekleideten Geschäftsleuten und Obdachlosen, die Einkaufswagen mit ihren Habseligkeiten vor sich herschoben, gleichermaßen geschickt aus. Noch mehr Blut. Dieser Fleck war so groß, dass die Passanten vorsichtig einen Bogen darum machten. Sie fragte sich, ob irgendjemand wohl die Polizei gerufen hatte. Wahrscheinlich nicht, schließlich waren sie hier in New York.
Hierher würde Raphael auch jemanden zum Saubermachen schicken müssen. In Gedanken notierte sie sich die Stelle, dann folgte sie der Fährte weiter; wie eine mächtige Droge pulsierte das Adrenalin in ihrem Blut. Ihr Jagdinstinkt füllte jeden Zentimeter ihres Körpers aus, jeden Winkel ihres Seins.
Sie war jetzt ganz sie selbst: die geborene Jägerin.
Ihr kam es vor, als würde sie durch Säure schwimmen, die in der heißen Sonne brannte, als sie schließlich vor einem Gebäude stand, das ihr verblüffend vertraut
Weitere Kostenlose Bücher