Gilde der Jäger 01 - Engelskuss
quakten und hackten mit den Schnäbeln aufeinander herum. Mein Gott, konnten denn nicht einmal die Enten friedlich sein? Wie, zum Teufel, sollte sie bei dem Lärm einen vernünftigen Gedanken fassen? Seufzend lehnte sie sich zurück und blickte in die wolkenlose Weite des Himmels. Die Farbe erinnerte sie an Raphaels Augen.
Sie schnaubte verächtlich über sich selbst.
Der Himmel war dem lebhaften Glanz seiner Augen so ähnlich wie ein Klumpen Zirkon einem Diamanten. Eine schwache Imitation. Trotzdem schön. Wenn sie nur lange genug in den Himmel starrte, vertrieb das vielleicht die Gedanken an Flügel, die ihr nicht mehr aus dem Sinn gehen wollten. So wie jetzt. Da sie sich vor ihr Gesichtsfeld schoben und das Blau in weißes Gold verwandelten.
Stirnrunzelnd versuchte sie an der Erscheinung vorbeizusehen. Sie blinzelte.
Makellose Fasern mit goldenen Spitzen traten deutlich hervor. Wie wild raste ihr Herz, doch sie war zu erschöpft, um wirklich Angst zu haben. »Sie sind mir gefolgt.«
»Sie haben den Eindruck gemacht, als brauchten Sie etwas Zeit für sich.«
»Könnten Sie vielleicht Ihren Flügel herunternehmen?«, fragte sie höflich. »Sie versperren mir die Sicht.«
Mit einem sanften Rascheln verschwand der Flügel. Niemals mehr würde sie das Geräusch mit etwas anderem verbinden als mit Flügeln. Raphaels Flügeln. »Wollen Sie mich nicht ansehen, Elena?«
»Nein.« Sie starrte weiterhin in den Himmel. »Ein Blick, und ich bin völlig durcheinander.«
Leise ertönte sein raues, tiefes Lachen… in ihrem Kopf.
»Meinen Blick zu meiden bringt Ihnen gar nichts.«
»Das habe ich schon befürchtet«, sagte sie ruhig, doch die Wut in ihrem Bauch war wie ein glühendes Stück Kohle. »Machen Sie sich einen Spaß daraus, Frauen dazu zu zwingen, sich Ihnen anbetend zu Füßen zu werfen?«
Stille. Dann das Schlagen von Flügeln. »Sie vergeuden Ihr Leben.«
Elena riskierte einen Blick. Zwar stand er am Uferrand, doch sein Körper war ihr zugewandt, und seine unglaublich blauen Augen waren nachtschwarz geworden. »Ich sterbe doch sowieso.« Damit wollte sie an seine Ritterlichkeit appellieren, meistens funktionierte das. »Sie haben es selbst gesagt– allein mit Ihren Gedanken können Sie mich jederzeit fertigmachen. Dagegen ist das andere doch nur eine Lachnummer, oder?«
Schön sah er aus, wie er im Sonnenlicht vor ihr stand und hoheitsvoll nickte. Ein dunkler Gott. Und diesmal war es ihr ureigener Gedanke. Denn sie fühlte sich aus demselben Grund von Raphael abgestoßen wie angezogen: Macht. Mit diesem Mann konnte sie es nicht aufnehmen. Auch wenn es sie in Rage brachte, ihre leidenschaftliche weibliche Seite fand Gefallen daran. Sehr sogar.
»Wenn Sie zu all diesen Dingen fähig sind, zu was ist denn dann der andere Typ fähig?« Sie wandte sich von seinem verführerisch sinnlichen Gesicht ab und wieder den Enten zu. »Wahrscheinlich macht er Hackfleisch aus mir, bevor ich mich ihm auch nur auf dreißig Meter genähert habe.«
»Sie werden beschützt.«
»Ich arbeite allein.«
»Diesmal nicht.« Seine Stimme war stahlhart. »Uram hat eine Vorliebe für Schmerz. Der Marquis de Sade war einer seiner Schüler.«
Auf keinen Fall wollte Elena ihm zeigen, wie sehr sie diese Information aus der Fassung brachte. »Er steht also auf perverse Sexspiele.«
»So kann man es auch nennen.« Irgendwie gelang es ihm, all das Blut, den Schmerz und das Grauen in eine einzige Bemerkung zu legen. Die Gefühle fraßen sich durch ihre Haut, legten sich um ihren Hals, würgten sie und wurden immer widerlicher.
»Hören Sie schon auf«, fuhr sie ihn an, und dabei verschmolzen ihre Blicke wieder miteinander.
»Entschuldigung.« Ein leichtes Lächeln umspielte seine Lippen. »Sie sind sensibler, als ich dachte.«
Keine Sekunde glaubte sie ihm. »Erzählen Sie mir von Uram.« Viel wusste Elena von dem anderen Erzengel nicht, nur dass er über einen ziemlich großen Teil Europas herrschte.
»Er ist Ihre Beute.« Sein Gesicht versteinerte sich, wurde so ausdruckslos wie eine griechische Statue, die mitternachtsblauen Augen verdunkelten sich und wurden beinahe schwarz. Kühl. Unergründlich. »Mehr müssen Sie darüber nicht wissen.«
»So kann ich nicht arbeiten.« Sie blieb aufrecht stehen, wich nicht zurück. »Ich bin so gut, weil ich mich in meine Zielperson hineinversetze und dadurch sagen kann, wo sie ist, was sie tun und mit wem sie in Kontakt treten wird.«
»Verlassen Sie sich auf Ihre angeborenen
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