Gilde der Jäger 02 - Engelszorn
Begegnung mit Holly Chang in Erinnerung. Beim Anblick von Raphaels Flügeln war sie völlig hysterisch geworden. Nachdem sie Urams Gräueltaten hatte mit ansehen müssen, war Holly traumatisiert gewesen. Was hatte Dahariel wohl angestellt, um die gleiche Reaktion bei nahezu unsterblichen Wesen hervorzurufen, die immerhin schon Hunderte von Jahren lebten?
Illium streckte die Hand aus, eine steife Brise wirbelte den Schnee in die Luft. Doch die Spuren eines gewalttätigen Mordes ließen sich nicht so einfach wegfegen. »Das Medaillon hat uns hergebracht.«
Raphael griff danach und strich mit dem Finger über das Metall, als würde er nach etwas Bestimmtem suchen. Als seine Finger in der Bewegung innehielten, wusste Elena, dass er es gefunden hatte. »Dieses Medaillon hätte man sich nur aneignen können, wenn man einen von Lijuans Männern getötet hätte.«
»Glaubst du, sie hat etwas damit zu tun?«, fragte Elena.
»Nein. Sie ist viel zu beschäftigt mit ihren Wiedergeborenen.« Er schloss die Hand fest um das Medaillon, und bei dem Gedanken an Lijuans liebsten Zeitvertreib stellten sich Elenas Nackenhaare auf. »Elena – was macht die Fährte?«
»Der Schnee schmilzt schon«, sagte sie resigniert. »Die Fährte ist sicher verschwunden.«
»Nur Geduld, Jägerin«, sagte Raphael mit der Zuversicht eines Mannes, an dem schon Jahrhunderte vorübergezogen waren. »Einen seiner eigenen Männer zu töten war ein Fehler – Angst wird die Zungen lockern.«
»Dann hoffe ich, dass er … oder sie«, setzte sie mit Hinblick auf Anoushka hinzu, »weiterhin gegen die eigenen Leute vorgehen wird.« Sie heftete ihre Blicke auf den Brunnen. »Zumindest werden sie dann eines einfacheren Todes sterben, als wenn wir sie in die Finger bekämen.«
Der Duft eines frischen, rauen Windes. Ich würde ja sagen, dass du heute deine Unschuld verloren hast, aber von deinen Albträumen weiß ich, dass das schon vor langer Zeit geschehen ist.
Ja, gestand sie und gab ihm damit Einblick in ihre tiefsten Geheimnisse. An jenem Tag ist so viel Blut geflossen, dass ich es selbst bei der Beerdigung noch auf der Haut gespürt habe.
19
Am nächsten Tag wartete eine unangenehme Überraschung auf sie. Da die Spur kalt war und Raphaels Leute auf andere Gesichtspunkte der Untersuchung angesetzt waren, nahm Elena ihr Kampftraining wieder auf – der Engel, der schon zwei von Raphaels Schützlingen verletzt hatte, würde an ihr keine so leichte Beute haben, wie er vielleicht glaubte. Elena war fest entschlossen, ihm ihren Gildendolch in die Rippen zu rammen, wenn er sich auf sie stürzte.
Leider hatte sie dabei übersehen, dass Dmitri nicht mehr da war, sondern in den Turm zurückgekehrt war.
»Wenn das alles ist, was Sie aufbieten können, werden Sie, zwei Sekunden nachdem Sie Ihre Munition verschossen haben, tot sein.« Ihre Pistole verschwand in Galens Pranke, mit seinen blassgrünen Augen blickte er sie ungefähr so freundlich an wie ein böser alter Grizzlybär. »Weitere Waffen?«
»Messer.« Auch wenn sie es nie im Leben zugegeben hätte, vermisste sie Dmitris befremdlichen Humor doch ziemlich.
»Wenn Sie Messer einsetzen wollen«, sagte Galen, während sie auf den Übungsplatz, einem vor einem fensterlosen Holzbau gelegenen Kreis aus festgestampfter Erde, hinaustraten, »müssen Sie lernen, sie zu ziehen, ohne sich die Flügel zu verletzen.« Er nahm sich eine Waffe, die einem Rapier glich, wobei die Klinge viel schlichter aussah als die komplizierten Modelle, die sie aus den Sammlungen anderer Jäger kannte. Er übergab ihr das Rapier mit den Worten: »Zeigen Sie mal, was Sie können.«
»Ich habe von Messern gesprochen«, sagte sie und tarierte die Klinge mit gesenktem Handgelenk aus. »So lange Klingen bin ich nicht gewohnt.«
»Mit einem Messer muss man zu nah an den Gegner heran.« Auf einmal war er direkt vor ihr, eine kurze, tödlich scharfe Klinge drückte sich an ihren Hals, ihre Brüste wurden gegen seine heiße, nackte Brust gequetscht. »Und um gegen einen anderen Engel zu gewinnen, sind Sie nicht schnell genug.«
Zischend stieß sie ihren Atem aus, rührte sich aber nicht vom Fleck. »Ich könnte Ihnen immer noch den Bauch aufschlitzen.«
»Aber nicht so schnell, wie ich Ihnen die Kehle durchgeschnitten hätte. Doch das ist auch nicht der Sinn dieser Übung.«
Langsam rann ihr das Blut am Hals hinunter, sie unterdrückte ihren Unwillen und erwog kaltblütig ihre Möglichkeiten. Ihre Schwerthand war praktisch nutzlos –
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