Gilde der Jäger 02 - Engelszorn
liebenswürdige Eskorte wieder in den Mann verwandelt, der Feinden kaltblütig die Flügel abschnitt.
»Ja.« Die Abbildung des knienden Engels mit dem Totenkopfgesicht würde sie ihr Leben lang nicht vergessen. »Wie muss ein Erzengel nur beschaffen sein, dass er so etwas als persönliches Symbol benutzt!«
Illium gab keine Antwort, aber sie hatte auch gar keine erwartet. Am liebsten hätte Elena dieses sie verstörende Ding in die dunkelste Felsspalte geworfen, doch stattdessen hielt sie sich das Medaillon an die Nase und atmete tief ein.
Bronze.
Eisen.
Eis.
Apfelsinen in Schokoglasur.
»Der Vampir hat es berührt.« Mit diesem Artefakt wollte Elena nichts mehr zu tun haben und legte es in Illiums ausgestreckte Hand. »Weiter.«
»Hast du eine Spur?«
»Vielleicht.« Unter all den Schneemassen, die, wenn die Wintersonne bei einem plötzlichen Wetterumschwung vom Himmel brannte, jederzeit schmelzen konnten, lag ein vager Hauch und ließ Elena nicht mehr los.
Diesem Geruch folgend, setzte sie sich in Bewegung. »Was ist das da vorn?« Ihr Ziel war ein überdachter Durchgang zwischen zwei verwaist aussehenden Häusern. Der Durchgang war wie ein schwarzes Loch, das ins Nichts zu führen schien.
»Ein kleiner Garten im Hinterhof.« Illiums Schwert machte ein zischendes Geräusch, als er es aus der Scheide zog. »Die Engel, die hier wohnen, sind zurzeit in Montreal, doch eigentlich müsste hier an der Wand eine Lampe brennen.«
»Dann mal los.« Nach einigen Schritten in den Gang hinein wurde es stockdunkel um sie herum, doch wenig später schon konnten sie ein Licht am anderen Ende sehen. Elena beschleunigte ihre Schritte und betrat mit einem Seufzer der Erleichterung einen hellen, weißen Hof.
Wie Illium gesagt hatte, lag hier ein Garten, ein stiller Ort, verborgen vor der Welt. Im Sommer quoll er wahrscheinlich über vor Blumen, aber selbst jetzt im Winter übte er einen einzigartigen Charme aus. Der Springbrunnen in der Mitte war abgestellt, die beiden oberen kleinen Becken wie auch das große Becken waren voller Schnee. Auch die Statuen ringsum waren weiß überzuckert; einige der Figuren befanden sich innerhalb, andere außerhalb des Bassins, aber alle waren in ihrer ganzen Lebendigkeit erfasst worden.
Unerwartete Freude erfasste Elena, als sie näher trat – die Statuen waren Kinder, und jedes Gesicht war liebevoll ausgestaltet. »Da ist ja Sam!«, rief sie, als sie ein kleineres Abbild des kindlichen Engels erblickte. Ihm blitzte der Schalk aus den Augen, ein Fuß im Brunnen, die Hände auf dem Beckenrand. »Und da ist ja auch Issi.«
»Aodhan hat sie als Modelle benutzt.« Auf ihren fragenden Blick hin setzte er hinzu: »Einer der Sieben.«
»Er hat wirklich Talent.« Jede der Figuren war bis ins kleinste Detail ausgestaltet, bis hin zu einem abgerissenen Hemdknopf oder einem offenen Schnürsenkel. Während sie um die Kunstwerke herumging, verschwand ihr Lächeln, ihr würde übel. Jemand hatte diesen Ort geschändet.
In Schokolade getauchte Apfelsinen.
Und darunter … der faulige Gestank gerade einsetzender Verwesung.
18
Entsetzen und kalte Wut stiegen in Elena auf. Sie schob gerade so viel Schnee beiseite, dass sie sich auf den Beckenrand setzen konnte. Im Brunnen selbst musste sie nicht allzu tief graben, bevor sie mit den Händen auf blau gefrorenes Fleisch stieß. Sie zog die Hand zurück und drehte sich abrupt zu Illium um. »Ich glaube, wir haben gerade den Vampir gefunden, der Sam entführt hat.«
»Eine weitere Entweihung.« Illium umklammerte das Schwert so fest mit der Hand, dass seine Knöchel weiß hervortraten. »Ich habe es Raphael schon gesagt.«
»Nicht Dmitri?« Raphaels stellvertretender Kommandeur kümmerte sich um alles Mögliche, und da Raphael für diesen Morgen ein »Gespräch« mit Dahariel anberaumt hatte, hatte Elena mit Dmitri gerechnet.
»Kurz nachdem Sam gefunden wurde, ist er nach New York abgereist«, sagte Illium, und mit einer eleganten Bewegung ließ er Blitz verschwinden. »Venom ist der Jüngste von uns. Und da Galen vom Turm abberufen wurde, könnte manch einer auf dumme Gedanken kommen.«
Damit sie in Ruhe wieder zu Kräften kommen konnte, verbrachte Raphael einen großen Teil seiner Zeit weit weg vom Turm, und gerade fragte Elena sich, wie viel ihm diese Abwesenheit wohl abverlangen mochte. »Aber notfalls könnte doch auch Venom einen Angriff so lange aufhalten, bis Hilfe naht, oder?«
»Natürlich. Schließlich gehört er zu den Sieben.«
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