Gilde der Jäger 02 - Engelszorn
ausgehen, dass sich der Drahtzieher noch in der Zufluchtsstätte befindet?«
»Die politischen Spielchen mögen sehr wohl aus der Ferne dirigiert worden sein, doch langsam wird es zu persönlich. Er ist nah, begierig darauf, die Auswirkungen seiner Missetaten mitzuerleben.« Raphaels Stimme klang so distanziert, dass sie ihr Angst einjagte. Als sie ihn das letzte Mal so erlebt hatte, hatte er sie in schwindelerregender Höhe aus dem Fenster gehalten und hätte sie vielleicht auch fallen gelassen, nur um sie schreien zu hören.
Das Blut rauschte ihr auf einmal so laut in den Ohren, dass sie sich sehr konzentrieren musste, um seine nächsten Worte zu verstehen.
»Lassen wir einmal die ganzen Ablenkungsmanöver aus dem Spiel. Ursprünglich wollte er damit wohl seine Macht unter Beweis stellen, sein Anrecht auf einen Sitz im Kader, hat sich eingeredet, dass es ihm so gelingen würde …«
»… aber eigentlich genießt die Bestie ihre kranken Spielchen«, beendete Elena den Satz für ihn, sie schäumte vor Wut. Was war das bloß für ein Soziopath. Er würde sicher keine Ruhe geben, bis man ihm gewaltsam Einhalt gebot. Und er hatte jetzt schon gezeigt, dass er eine Vorliebe für Kinder hatte.
Sie blickte in ein Paar chromblaue Augen. »Unser Ziel hat sich nicht geändert. Wir wollen die blutigen Taten an Noel und Sam sühnen. Und die erneute Morddrohung gegen Elena.«
Verwirrt blinzelte Elena, spürte die zunehmende Wärme der Sonne auf ihrer Haut. »Was?«
»Im Mund des Schädels, den wir in Anoushkas Bett gefunden haben, steckte ein Dolch der Gilde.«
Voller Zorn dachte Elena an die teuflischen Taten und die stetigen Verhöhnungen einer Gilde, die ihr eine Familie war, seitdem ihre eigene Familie sie wie Unrat auf die Straße gekehrt hatte, und auf einmal wurde sie ganz ruhig und kalt. »Spurensicherung?« Selbst wenn sie mit Raphael nicht über mögliche Spuren auf Noels lädiertem Körper gesprochen hätte, wäre sie rein intuitiv davon ausgegangen, dass es in der Zufluchtsstätte ein forensisches Labor gab. Denn obgleich die Engel aussahen, als seien sie Mythen und Legenden entsprungen, waren sie durch und durch Praktiker. Eine zentrale DNS-Bank würde sie nicht im Mindesten überraschen.
»Die Leiche wird gerade untersucht«, sagte Galen, »und einige meiner Leute sehen sich noch einmal die Fundstelle an, aber ich gehe eigentlich davon aus, dass wir genauso wenig wie bei Noel und Sam etwas Entscheidendes finden werden.«
»Die einzige Spur, die wir hatten, war der Geruch des toten Vampirs«, sagte Elena in dem Wissen, dass er genau aus diesem Grund hatte sterben müssen. Ausgerechnet mit ihrer Fähigkeit hatte sie sein Todesurteil unterschrieben, was sie schrecklich fand. Aber hatte er es nicht bereits selbst getan, in jener Nacht, in der er geholfen hatte, ein Kind brutal zu misshandeln? Grimmig presste sie die Zähne aufeinander. »Wissen wir, wer er war?«
»Er hat Charisemnon unterstanden«, sagte Raphael. »Ein Vampir aus den mittleren Rängen, der nach oben wollte.«
Das Motiv war so menschlich, dass sie es mühelos nachvollziehen konnte. Denn letztendlich waren Vampire ja auch einmal Menschen gewesen. »Gibt es immer nur noch die drei Möglichkeiten?«
»Nazarach, Dahariel und die Prinzessin selbst«, bestätigte Illium.
»Ist darunter auch jemand, der von längst vergangenen Zeiten träumt?«
»Nein«, sagte Illium wieder. »Anoushka hält sich zwar einen Hofstaat wie ihre Mutter, aber sie ist auch Besitzerin einer Chemiefabrik, in der Gifte hergestellt werden. Ihnen allen sind gerichtsmedizinische Verfahren wohlbekannt.«
»Dann müssen wir eben wieder von vorne anfangen, sie beobachten, bis sie einen Fehler machen.«
»Nazarach«, sagte Raphael, »steht seit dem Angriff auf Noel unter ständiger Beobachtung, aber das heißt noch lange nicht, dass er unschuldig ist. Dahariel gehört Astaad, da müssen wir mit Bedacht vorgehen.«
»Trotz der Sache mit Sam?«
Raphaels Antwort war die eines Erzengels. »Dahariel ist ebenso unerlässlich für den reibungslosen Ablauf in Astaads Territorium wie Nazarach bei mir.«
Und Anoushka war Nehas Tochter. »Du kannst keinen von ihnen verfolgen, ohne einen Krieg zu riskieren.«
»Dahariel schien von dem Angriff auf Sam geradezu angeekelt zu sein«, sagte Raphael mit undurchdringlicher Miene, »aber sein Haus ist voller Vampire, die bei dem Geräusch himmlischer Flügel anfangen zu winseln.«
In Gedanken rief sich Elena ihre letzte und auch einzige
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