Gilde der Jäger: Engelsdunkel (German Edition)
würde.«
Nehas Zorn peitschte ihr das Haar aus dem Gesicht, ihre Flügel verströmten ein schwaches Leuchten. »Raphaels Gemahlin sollte schon lange tot sein.« Zu spät fiel Mahiya ein, dass Elena ein wichtiger Faktor bei Anoushkas Hinrichtung gewesen war.
»Und doch«, sagte Jason, ohne zu zögern, »würde Raphael es mit dem gesamten Kader aufnehmen, ehe er zuließe, dass ihr etwas geschieht. Das würdest du für mich nicht tun.«
Neha starrte ihn an, leichte Verwirrung lag in ihrem Gesichtsausdruck. »Ein so romantisches Herz hätte ich bei dir nicht erwartet, Jason.« Ihr Blick schnellte zu Mahiya. »Glaubst du, bei ihr eine solche Liebe zu finden?«
Mahiya spürte einen Sturm in sich, stellte jedoch fest, dass es nicht ihre eigenen Gefühle waren. Jason.
»Ich erwarte nichts als Zeitvertreib«, sagte Jason mit so ruhiger Stimme, dass Mahiya den Zorn darin nie erahnt hätte, wäre ihr Geist nicht davon überschwemmt worden, »aber ich will es zu meinen Bedingungen und auf meinem Terrain.«
Neha wandte sich ab, ihre Flügel strichen über das samtige Gras, das unter der Pflege der Gärtner üppig gedieh. »Wenn sich dein Wissen als so wertvoll erweist, wie du glaubst, werde ich sie dir überlassen.«
Mahiya wusste, dass sie kein besseres Angebot bekommen würden. Jeden weiteren Versuch, mit ihr zu verhandeln, würde Neha als Angriff auf ihre Ehre auffassen. Wir müssen akzeptieren.
Und das Risiko wagen. »Die Person, die Eris und die anderen ermordet hat, lebt nicht an deinem Hof.« Jason stellte sich neben Neha, seine Flügel standen in starkem Kontrast zu dem indigobestäubten Weiß ihrer Schwingen. »Und sie ist auch nicht mehr in der näheren Umgebung. Aber meinen Quellen zufolge wird sie einige Stunden nach Sonnenuntergang hierher zurückkehren.«
Bei dem Gedanken, dass ihre Mutter ihr so nah war, spürte Mahiya einen Stich in ihrem Herzen. Sie wusste, dass es Jason überrascht hatte, wie bald der Angriff beginnen sollte, aber es ergab auf grausame Weise einen Sinn: Durch den Verlust von Eris war Neha geschwächt und angreifbar.
Jetzt wehte das Haar des Erzengels in einer Brise, die niemand sonst spüren konnte. »Eine seiner Huren?«
Mahiya ballte die Hände zu Fäusten, bis sich die Fingernägel in ihre Handflächen bohrten.
»Ich fälle keine Urteile.« Jasons Antwort war unbewegt. »Aber ich bin so gut wie sicher, dass sie ihn vor dem Mord mehr als dreihundert Jahre lang nicht angerührt hat.«
Neha wurde so vollkommen reglos, dass es unmenschlich wirkte. Als ob sie aufgehört hätte, im Hier und Jetzt zu existieren, und an einen anderen Ort gegangen wäre. »Du erweckst die Toten zum Leben.«
Von dem unheimlichen Echoeffekt in der Stimme des Erzengels beunruhigt, rieb sich Mahiya die kleinen Härchen auf ihren Armen, die sich allesamt aufgerichtet hatten.
»Das glaube ich nicht«, gab Jason zurück. »Aber ich glaube, die tote Frau stellt eine Armee auf.«
Nehas Flügel entfalteten sich ruckartig. »Komm mit.« Mit diesen Worten segelte sie den Garten hinunter und über den See hinweg, ehe sie sich wieder in die Höhe schraubte und zur Festung zurückflog.
Jason folgte ihr. Du bist verletzt. Warte hier.
Mahiya war bereits in der Luft. Ausruhen kann ich mich später. Die Flügelschläge belasteten ihren Brustkorb, und die Schmerzen drohten sie zu überwältigen, aber umkehren konnte sie nicht.
Mahiya.
Sie spürte, dass er gereizt war und sie mit Gewalt zur Landung zwingen würde, wenn es nötig sein sollte. Ich muss es wissen , sagte sie. Damit öffnete sie ihm ihr Herz – das Herz eines Mädchens, das nie erfahren hatte, was aus seiner Mutter geworden war.
Eine Pause. Dann halte dich an mich.
Auch wenn sie nicht sicher war, ob er das damit gemeint hatte, klammerte sie sich an die mitternachtsgleiche Kraft, die sie in ihren Gedanken spürte, und landete nur wenige Sekunden nach Neha und Jason vor den Mauern der Bergfestung. Der Erzengel bemerkte ihre Anwesenheit nicht einmal, als er entschlossenen Schrittes einen Bereich der Festung betrat, der immer verschlossen gewesen war, solange Mahiya zurückdenken konnte. Als Kind hatte sie einmal versucht, ihn zu erkunden, doch der Weg war von herabgefallenem Schutt versperrt gewesen, den sie nicht hatte beiseiteräumen können.
Jetzt berührte Neha diesen Schutt in einem komplexen Muster mit den Fingerspitzen … und ein Teil des Bodens fiel einfach herab, um auf der anderen Seite eine Treppe freizulegen. Mahiyas Herz klopfte so heftig,
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