Gilde der Jäger: Engelsdunkel (German Edition)
lichtete. Auch Elena blieb stehen und ließ erst die anderen mit dem frisch verheirateten Paar sprechen. So wie Jason vor der Zeremonie bei Dmitri gewesen war – zusammen mit Raphael, Illium und Venom –, war Elena bei Honor gewesen; der Erzengel und seine Gemahlin hatten den Gästen der Braut eine Suite in ihrem Haus zur Verfügung gestellt. Diese Gäste waren allesamt Jäger, und unter den glänzenden, eleganten Kleidern, die sie anlässlich dieser Hochzeit angezogen hatten, trug mit Sicherheit jeder von ihnen die eine oder andere Waffe.
Am Rand seines Blickfeldes flackerte etwas Blaues, und als er sich umdrehte, sah Jason, wie Illium seine Flügel für einen Jäger ausbreitete, der ihn darum gebeten hatte. Der Engel war ebenso in feierliches Schwarz gekleidet wie der Bräutigam, Raphael und die Übrigen der Sieben, die heute anwesend waren, aber auf seinem Gesicht lag ein kokettes Lächeln. Das Lächeln war echt, soweit es reichte; aber es reichte nicht weit. Illium hatte geliebt, bis sein Herz gebrochen war, und er hatte getrauert, bis alles Licht in seinen Augen aus geschmolzenem Gold erloschen war.
»Verstehe«, sagte Jason zu Elena, als sie ihn wieder ansah. Einmal mehr wurde ihm bewusst, dass andere zu unzähligen Nuancen von Gefühlen fähig waren. Über Jahrhunderte hinweg hatte Jason Sterbliche wie Unsterbliche beobachtet und konnte selbst die feinsten Veränderungen in ihrem emotionalen Gleichgewicht erkennen, denn ohne diese Fähigkeit konnte man kein Meisterspion sein. Doch er selbst hatte in all dieser Zeit nie so empfinden können wie sie. Es war, als kratze das Leben nur über seine Oberfläche und ließe sein Herz und seine Seele unangetastet.
»Du bist der perfekte Meisterspion. Ein intelligentes, begabtes Phantom, das von allem, was es sieht, unberührt bleibt.«
Diese Worte hatte vor vierhundert Jahren Lijuan zu ihm gesagt. Außerdem hatte ihm die Älteste unter den Erzengeln ein Angebot gemacht: Reichtum und Frauen, versiert in den sinnlichen Künsten – oder auch Männer, falls er das wünschte –, wenn er die Seiten wechselte und sich in ihre Dienste stellte. Aber Jason hatte bereits genug Wohlstand für hundert unsterbliche Leben verdient und angehäuft. Und was den anderen Punkt anging – wenn Jason eine Frau wollte, bekam er eine. Er brauchte niemanden, der für ihn den Zuhälter spielte.
Sacht strich Elenas Flügel über seinen, als sie sich ein wenig streckte, und Jason wich nicht zurück, um die flüchtige Berührung zu verhindern. In vielerlei Hinsicht war er das Gegenteil von Aodhan, dem Engel, der so zerstört war, dass er nicht die leiseste Berührung ertragen konnte. Jason nämlich fühlte sich manchmal nur dann real und nicht wie das Phantom, als das Lijuan ihn bezeichnet hatte, wenn er den Widerstand von fremder Haut und fremden Flügeln auf seinem Körper spürte. Es war, als hätten all die Jahre, oder vielmehr Jahrzehnte, ohne Berührungen anderer fühlender Wesen einen Durst in ihm geweckt, der niemals gestillt werden konnte.
Aus ihm hätte ein Genusssüchtiger werden können, der sich an Empfindungen berauschte, hätten nicht diese Jahre der quälenden, endlosen Einsamkeit ihre Narben in ihm hinterlassen. Dieser Narben wegen hatte er sich schließlich mit den Schatten verbündet, die er als Kind so gehasst hatte, und diese Narben bedeuteten auch, dass er sein Vertrauen nur sehr zögernd verschenkte. Und so kam es, dass Jason es trotz dieses Bedürfnisses außerhalb des Schlafzimmers nur wenigen gestattete, ihn zu berühren; die Berührung eines Freundes nämlich war etwas ganz anderes als die Zärtlichkeiten einer Geliebten, die man in der Dunkelheit der Nacht genoss und bei Tagesanbruch hinter sich ließ.
»Eine schöne Hochzeit, nicht wahr?«, sagte Elena. Ihr Blick war weich, wie er es bei Frauen zu solchen Anlässen häufig war.
»Wünschst du dir auch eine?« Hochzeiten waren eher etwas für Sterbliche, aber wie der heutige Tag gezeigt hatte, hielten auch einige Unsterbliche daran fest – es war Dmitri gewesen, der am stärksten auf dieser Zeremonie bestanden hatte.
Überraschtes Lachen von Elena. »Raphael und ich haben über den Trümmern von New York geheiratet, als er mit mir in seinen Armen gefallen ist.«
Auch Raphael war bei seiner Gemahlin ein anderer, dachte Jason. Eine Sterbliche, die zum Engel geworden war. Was ihre Macht anging, war sie ein sehr schwacher Engel, ihre Unsterblichkeit glich einer flackernden Flamme, und doch trug sie eine
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