Gildenhaus Thendara - 7
keine Worte mehr. Sie dachte: Wenn ich Cholayna im Stich lasse, vergehe ich mich gegen den eigentlichen Geist des Amazonen-Eides, und sie fragte sich, wie sie auf diesen Gedanken gekommen war.
Mißmutig fragte sie: „Was willst du von mir, Cholayna?”
Cholayna wollte nach ihrer Hand fassen, doch dann seufzte sie und berührte sie nicht. „Im Augenblick? Nur daß du keine unwiderruflichen Entscheidungen fällst. Ich hätte Montray umbringen kön
nen, und ich bin mir nicht sicher, ob es nicht das einzig Richtige gewesen wäre. Aber ach, die Gewohnheit, auf Gewalt zu verzichten, ist zu stark und er würde nicht einmal gut schmecken!” Es war ein schwacher Witz, aber sie lachte trotzdem nervös auf.
„Wenn du das Gefühl hast, du müßtest dich eine Zeitlang unserer Reichweite entziehen, hilf mir wenigstens, mit Lauria zu regeln, welche deiner Schwestern im Hauptquartier arbeiten und zum Wohl beider Welten unser Leben kennenlernen sollen.”
Es ärgerte Magda ein bißchen, daß Cholayna sich der Ausdrucksweise der Amazonen bediente, von ihren Schwestern und ihrer Pflicht ihnen gegenüber sprach. Aber sie hatte ein merkwürdiges Gefühl dabei, als spreche Cholayna nicht nur in Worten, sondern kommuniziere auf einer höheren Ebene mit ihr. Sie wußte plötzlich Dinge, die Cholayna ihr nicht erzählt hatte, sich niemals im Traum einfallen ließe, ihr zu erzählen, Dinge, deren sich Cholayna selbst nicht vollständig bewußt war, und es entsetzte Magda, soviel über ein menschliches Wesen zu wissen. Ihr Geist steht weit offen, dachte sie - ohne sich ganz klar darüber zu sein, was sie damit meinte -, und meiner auch. Sie spürte die Müdigkeit in dem langen, schmalen Gesicht und dem mageren Körper, den Schmerz, den die fremde Sonne hervorrief, den Eindruck, es sei hier sehr dunkel, die Sehnsucht nach der Wärme und Helligkeit ihrer eigenen Welt. Cholayna lebte auf Darkover in einem unheimlichen Halbdunkel. Magda erkannte, daß Cholayna potentiell eine Liebhaberin von Frauen war, ebenso oder in stärkerem Ausmaß als Camilla, aber sie hatte ihr Leben auf Welten verbracht, die es nicht in ihr Bewußtsein hatten hochsteigen lassen. Es war der Grund, warum sie sich der Ausbildung jüngerer Frauen gewidmet hatte, wobei sie die vage Hoffnung hegte, eines Tages werde eine von ihnen ihr geben, was sie nicht zu formulieren vermochte, etwas Wärme, die sie mit der Wärme ihrer Heimatsonne identifizierte, die ihr schon so lange vorenthalten wurde. Und obwohl ihr das alles durchaus nicht klar war, erkannte Magda es. Ihre Kopfhaut zog sich zusammen, und eisige Finger strichen einer nach dem anderen über ihr Rückgrat. Sie konnte nicht erraten, was das zu bedeuten hatte. Es war wie in der Nacht, als sie in Jaelles Armen aufwachte und die andere Frau sie, vielleicht durch die zwischen ihnen flutenden übersinnlichen Wahrnehmungen bewegen, geküßt hatte. Nur ließ es sich diesmal nicht als verirrter sexueller Impuls abtun; es ging tiefer als das. War es eine geistige
Angelegenheit? Magda war nicht wohl bei solchen Gedanken, und sie hatte den Verdacht, daß Cholayna sich von ihnen abgestoßen fühlen würde. Aber das Gefühl war vorhanden, und sie konnte es weder identifizieren noch kontrollieren. Es zu verjagen, war für sie ebenso unvorstellbar, wie sie Camilla geohrfeigt hätte, als sie ihr ihre Liebe anbot. Magda senkte den Kopf, damit Cholayna die Tränen in ihren Augen nicht sah, und räumte schwerfällig ein: „Nun, das will ich tun, natürlich will ich keine unerledigten Aufgaben zurücklassen. Mutter Lauria wartet auf uns” Mutter Lauria hatte bereits für Frühstück gesorgt, und man hatte ihr einen Teller mit Brotscheiben, noch dampfend vom Ofen, kalte Stücke des ganz mit Rosinen durchsetzten Festtagskuchens, der vom Vortag übriggeblieben war, und einen großem Krug mit dem heißen Getränk aus geröstetem Korn gebracht, das die Amazonen anstelle von Wein oder Bier tranken. Auch eine Schüssel mit hartgekochten Eiern und eine mit weichem Quarkkäse standen da. Von einer Einsicht getrieben, die ihr bis zum heutigen Morgen fremd gewesen war, sagte Magda schnell: „Die Eier wirst du nicht essen mögen, Cholayna, weil sie einmal Leben gehabt haben, aber alles andere kannst du ohne Bedenken zu dir nehmen”
„Danke, daß du mich gewarnt hast, Magda”, sagte Cholayna gelassen. „Ich erwarte nicht, daß die Welt nach meiner Bequemlichkeit eingerichtet wird, und vielleicht bin ich ein bißchen zu abhängig von
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