Gildenhaus Thendara
scheu.
„Du wirst mir fehlen, Margali, und Keitha auch - ich möchte nicht weggehen”, gestand sie unter Tränen. „Hier bin ich zu Hause, aber…aber…” „Jedes Mädchen muß ihr Heim verlassen, um etwas zu lernen, und das darf bei dir nicht anders sein”, sagte Jaelle. „Kindra schickte mich für ein halbes Jahr zu Lady Rohana nach Ardais, damit ich das
Leben genau kennenlernte, dem ich entsagen wollte - denn später sollte niemand behaupten können, ich hätte keine klare Vorstellung davon gehabt. Du, Doria, kommst wenigstens in ein anderes Gildenhaus. Ich kenne eine Reihe der Frauen in Neskaya. Du wirst dort viele Freundinnen finden, und schließlich sind sie alle deine Schwestern.”
Magda hörte Rafaella, die hinter ihr stand, fragen: „Was kann Keitha nur gegen Camilla haben? Es ist doch bestimmt nicht einfach das, daß sie eine emmasca ist, ein Neutrum - so grausam oder so bigott ist Keitha nicht, oder?”
„Ich glaube, daß mehr dahintersteckt”, antwortete Jaelle. „Camilla ist eine Liebhaberin von Frauen, sie ist freundlich und zärtlich zu Keitha gewesen, und vielleicht hat Keitha das mißverstanden…”
Magdas Gesicht brannte, obwohl ihr Verstand ihr sagte, daß die Worte nicht auf sie gemünzt waren. Keine der beiden wußte von dem Augenblick, als sie, nachdem sie verwundet worden war, im Fieberdelirium Keitha geküßt hatte - woher hätten sie es auch erfahren sollen? Und sie war überzeugt, Camilla hatte ihnen nichts von dem Vorfall erzählt, als sie Camilla zurückgewiesen hatte.
„Keitha ist eine cristofero”, sagte Rafaella, „und die sind in dieser Sache ebenso schlimm wie die Terraner. Aber Camilla ist nicht der Typ, der auf seinen Wünschen beharrt, wenn er einmal zurückgewiesen worden ist. Keitha kann doch unmöglich in Camilla eine Gefahr für sich selbst sehen? Margali, du kennst sie besser als alle anderen hier. Was denkt sie?” „Ich weiß nicht, was Keitha denkt”, antwortete Magda, „ich weiß nicht einmal, was ich selbst denke. Aber wenn Keitha nicht sieht, daß Camilla eine gute und ehrenhafte Frau ist, dann ist es gewiß ihr eigener Schaden” „Es darf einfach keine Feindschaft zwischen einer Frau und ihrer Eidesmutter bestehen”, ereiferte sich Rafaella, „das ist unnatürlich und verkehrt. Wir müssen etwas dagegen unternehmen!” Ihre Hand schwebte über einem Teller mit süßen Keksen, dann schüttelte sie lachend den Kopf. „Ich habe schon zuviel gegessen; ich bin so gierig, als sei ich vier Monate schwanger! Jaelle, schläfst du heute nacht hier? Zu dieser Stunde kannst du schließlich nicht mehr durch die Straßen Thendaras gehen! Und hört mal”, setzte sie hinzu und schwieg. Sie lauschten auf das Prasseln des Hagels gegen die Fenster, auf den Wind, der unentwegt um die Ecken des Hauses heulte.
„Das höre ich gern”, erklärte Jaelle, während Magda erschauerte. „In der terranischen Zone sind wir vom Wetter völlig isoliert, wir wissen gar nicht, ob es schneit oder ob die Sonne scheint…”
„Wenn du bleibst, möchtest du dann in meinem Zimmer schlafen? Marisela ist ausgezogen, weil sie des Nachts so oft aufstehen mußte. Der Schlaf einer Hebamme ist wie der eines Bauern zur Kälberzeit! Und Devra ist noch in Nevarsin, so daß viel Platz ist…”
„Ja, und vielleicht können wir ein paar Minuten über das Geschäft reden”, stimmte Jaelle zu. „Ich glaube, du mußt für die nächsten ein, zwei Jahre letzten Endes doch eine Partnerin nehmen”
„Jaelle! Dann bist du schwanger? Ich würde diesen deinen Freipartner gern einmal kennenlernen, wenn du seinetwegen deine Meinung derartig geändert hast”, neckte Rafaella sie, aber Jaelle schüttelte den Kopf. „Es ist zu früh, um sicher zu sein, Rafi. Glaub mir, du wärest die erste, der ich mich anvertrauen würde. Die Möglichkeit besteht natürlich immer. So oder so werde ich mindestens ein Jahr bei den Terranern arbeiten; ich habe mein Wort gegeben. Dann ist da noch…”
„Dann ist da noch die Frage, welche Frauen wir zu den Terranern schicken sollen, damit sie ihre medizinischen Techniken lernen”, sagte Mutter Lauria. „Ich möchte mit dir darüber sprechen, Rafaella, bevor wir die endgültigen Entscheidungen treffen. Vielleicht würde Doria gern gehen, wenn sie ihr Hausjahr in Neskaya beendet hat. Ich hatte daran gedacht, sie zur Ausbildung als Hebamme nach Arilinn zu schicken. Sie hat geschickte Hände und kann gut mit Tieren umgehen; sie mag auch dafür Begabung haben. Aber nicht
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