Gildenhaus Thendara
auf und merkte, daß sie bolzengerade im Bett kniete. Die Decken waren auf den Fußboden geworfen, und es war Jaelle, die schrie… nein, sie war sich nicht mehr sicher, ob überhaupt jemand geschrieen hatte, außer in dem Traum, dessen Bruchstücke sich schon verflüchtigten, bis nur noch die entsetzliche Erinnerung an das Blut auf dem Wüstensand blieb. Der Schnee draußen, der den kleinen grünen Mond widerspiegelte, füllte das Zimmer mit blassem Licht.
„Verdammter Traum”, keuchte Jaelle. „Tut mir leid, chiya, ich hatte einen Alptraum - möchtest du, daß ich auf dem Fußboden schlafe?” Magda schüttelte den Kopf. „Ich habe auch schlecht geträumt - es ist meine Schuld ebenso wie deine. Nach den Schulungssitzungen habe ich immer Alpträume”
„Du auch? Ich habe nach jeder Sitzung stundenlang wachgelegen, weil ich mich so vor den Alpträumen, die ich bekam, fürchtete. Um was ging es in deinem?”
Magda raffte die letzten Fetzen zusammen. „Sain Scarp. Kämpfte mit irgendwem. Eine Blutlache - ich bin mir nicht sicher”, sagte sie, obwohl sie mit gräßlicher Deutlichkeit Peters Gesicht inmitten der Blutlache vor sich sah.
„Ich habe von - ich glaube, meiner Mutter geträumt” Jaelle war einen Augenblick lang nicht auf der Hut. „Im Wachen kann ich mich nicht einmal mehr an ihr Gesicht erinnern - ich war noch so klein, als sie starb. Aber ich habe Alpträume von ihr. Ich weiß, sie starb in der Wüste, und das ist alles, was mir im Gedächtnis geblieben ist.” Magda sah den Alptraum jedoch deutlich in ihren Gedanken, das sich auf dem Sand ausbreitende Blut, das Entsetzen, das sie gelähmt hatte. Um das Grauen zu bannen, beugte Magda sich vor und zog die Decken ins Bett zurück. „Wird dir nicht zu warm unter all dem Zeug?” fragte Jaelle.
„Warm? Gott, nein, ich friere!” Dankbar deckte sich Magda wieder zu. Sie sehnte sich nach heißem Kaffee oder etwas dergleichen. „Lady Rohana war auch da, nur war sie wie eine Amazone gekleidet. Vielleicht kamen auch richtige Amazonen vor, ich erinnere mich nicht mehr…Irgendwer blutete sich zu Tode - nein, es ist weg. Was ist los, Jaelle?”
„Nichts, bloß ist mir jetzt auch kalt.” Jaelles Zähne klapperten. „Im Hauptquartier ist es so warm, und ich habe mich daran gewöhnt. Komm, versuchen wir, uns gegenseitig zu wärmen.” Sie zog Magda an sich, und die Körperwärme der anderen Frau war wie ein Anker. Irgendwie gab sie der Welt wieder Festigkeit.
„Peter hat nie Geduld mit Träumen gehabt” Magda wußte nicht, woher dieser Gedanke aufgetaucht war. „Er pflegte zu sagen, das interessiere niemanden außer der Psychologischen und Medizinischen Abteilung. Wenn ich unbedingt über meine Träume reden müsse, solle ich hinuntergehen und mir einen Psycho-Techniker suchen, der wenigstens berufliches Interesse daran habe. Sagt er das auch zu dir?”
Jaelle schüttelte den Kopf. „Ich wußte nicht, daß man von den Maschinen Alpträume bekommen kann, bis er es mir erklärte”
„Aber ein richtig justierter Kortikator dürfte dir keine solchen Schwierigkeiten machen”, meinte Magda besorgt. „Vergewissere dich, ob er auf deine Alpha-Rhythmen eingestellt ist. Mit wem arbeitest du zusammen?”
„Ich kann mich nicht an all die Namen erinnern. Es sind so viele…” „Ein eigenes Büro wäre das Mindeste, was dir zusteht”, sagte Magda. „Ich habe Jahre dafür gebraucht, um aus diesem Irrenhaus unten im Büro des Koordinators hinauszukommen, und jetzt meint man, dich so einfach wieder hineinstecken zu können? Jaelle, als Sprachenexpertin verdienst du ein Privatbüro - du mußt für deine
Rechte kämpfen, besonders als Frau, sonst trampelt man über dich hinweg!”
Vor Erleichterung holte Jaelle tief Atem. Ihre Abscheu vor dem überfüllten Büro mit den dicht bei dicht stehenden, Klaustrophobie erzeugenden Schreibtischen war also nicht einfach ein Zeichen persönlichen Versagens, wie Peter zu meinen schien. Magda hatte den Raum auch gehaßt. „Du bist eine Fachkraft, keine Angestellte für Routine-Arbeiten”, prägte Magda ihr ein. „Verlange, was dir zusteht. Man erwartet es von dir und wird dich dafür respektieren” Sie knautschte ihr Kissen in eine bequemere Position. „Etwas, das mir hier wirklich fehlt, ist eine Uhr mit Leuchtzifferblatt. Ich weiß nie, wie spät es ist!”
Und das gehörte zu den Dingen, die Jaelle hier am meisten zu schätzen wußte: Frei zu sein von den beständigen Hinweisen auf die Uhrzeit. Das mußte einer von
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