Gildenhaus Thendara
Name?”
„Keitha…!’ Die Antwort kam wie ein Hauch.
„Keitha, das Gesetz verlangt, daß du deine Absicht zeigst, indem du eine einzelne Haarsträhne selbst abschneidest. Wenn du dazu die Kraft hast, will ich den Rest für dich besorgen”
„Gib mir - die Schere” Sie sprach entschlossen, aber sie war so schwach, daß ihre Hand die Schere kaum halten konnte. Ihr Haar war in zwei Zöpfe eingeflochten. Sie faßte einen davon und mühte sich mit der Schere ab, doch es gelang ihr nicht, den Zopf durchzuschneiden. Sie wies auf die Flechten. „Bitte…”
Camilla löste den Zopf auf. Keitha fuhr mit der Schere hinein und säbelte zwei Handvoll Haar ab. „Da!” rief sie wild, und die Tränen stürzten ihr aus den Augen. „Und jetzt - nehmt mir den Eid ab.. “
Camilla hielt ihr einen Becher Wein an die Lippen. „Sobald du dazu stark genug bist, Schwester!’
„Nein! Jetzt.. .”, drängte Keitha. Die Schere entglitt ihrer Hand und fiel zu Boden, und Keitha verlor in Camillas Armen das Bewußtsein.
Mutter Lauria sagte leise: „Bringt sie nach oben!” Camillas geflüsterten Befehlen folgend, half Magda, die ohnmächtige Frau die Treppe hinauf und in ein leeres Zimmer zu tragen.
4. Kapitel
Schwarzer Schlamm und noch dunklere Schatten sickerten aus dem Wasserloch, aber hinter den Felsen ging die rote Sonne auf. Jaelle wußte, was auf der anderen Seite des Feuers vor sich ging. Sie war zwölf Jahre alt, und in Shainsa war ein Mädchen von zwölf alt genug, um Ketten angelegt zu bekommen, alt genug, um in den Geburtsräumen zur Hand zu gehen. Aber diese Frauen mit den kettenlosen Händen, diese Amazonen hatten sie weggeschickt, als sei sie ein Kind. Jenseits des Feuers in dem stärker werdenden Morgenlicht war die Stimme ihrer Mutter zu hören. Jaelle fühlte den Schmerz wie Messer den eigenen Körper durchdringen. Je höher die
Sonne stieg, desto niedriger kreisten die Aasvögel, und jetzt war das Licht wie auf dem Sand vergossenes Blut. Die Qual ihrer Mutter erfaßte ihren Körper und ihren Geist…
Jaelle! Jaelle, es ist das alles wert, du bist frei, du bist frei…Aber ihre Hunde waren von Ketten gefesselt, und sie kämpfte schreiend dagegen an… „Still, Liebes, still.. ” Geduldig löste Peter ihre um sich schlagenden Hände aus den Bettüchern und nahm Jaelle in seine Arme. „Es ist nur ein Alptraum, es ist alles gut…”
Nur schon wieder ein Alptraum. Schon wieder. Gott im Himmel, sie hat ihn jede Nacht. Kann ich denn gar nichts für sie tun?
Jaelle entwand sich ihm, ohne recht zu wissen, warum. Sie wußte nur, daß sie ihm im Augenblick nicht so nahe sein wollte. Beunruhigt suchte sie in seinem Gesicht nach der Feindseligkeit, die sie in seiner sanften Stimme nicht finden konnte.
„Kyril…” murmelte sie. „Nein. Eine Sekunde lang glaubte ich, du seist mein Cousin Kyril…”
Peter lachte leise. „Davon würde vermutlich jeder Alpträume bekommen. Hier, zähle meine Finger. Nur fünf!” Er drückte seine Hand an ihre, und sie lächelte schwach über diesen alten Scherz zwischen ihnen. Er sah ihrem Cousin Kyril Ardais so ähnlich, nur daß Kyril von Lady Rohana, seiner Mutter, die sechsfingrigen Hände geerbt hatte.
Kyrils Hände, die in jenem ganzen Sommer an ihr herumtatschten, bis sie, schluchzend vor Zorn und Demütigung, ihr Amazonen-Training gegen ihn anwandte, das es fast unmöglich machte, eine ausgebildete Entsagende zu vergewaltigen. Eine Entsagende, so hieß es, kann getötet, aber niemals vergewaltigt werden.
Um Rohanas willen hatte sie ihn nicht verletzen wollen…
„Schatz, bist du in Ordnung?” fragte Peter. „Soll ich einen Arzt holen? Du hast diese Alpträume jede Nacht seit…wie lange ist das schon? Zehn Tage, elf?”
Jaelle versuchte, sich auf das, was Peter sagte, zu konzentrieren. Die Wörter schienen ein seltsames Echo zu erzeugen, das ihre Handflächen schmerzen ließ und in ihren Kopfhöhlen widerhallte. Die Wände verschwammen in wirren Lichtern, das Zimmer dehnte sich aus und schrumpfte zusammen und dehnte sich wieder aus, so daß die Decke in schwindelnder Höhe über ihr hing. Die Augen taten ihr weh. Eine Welle der Übelkeit überschwemmte sie, sie sprang auf und
rannte ins Bad. Das Erbrechen vertrieb die letzten Reste des Traums. Sie konnte sich jetzt nicht einmal mehr daran erinnern, was sie geträumt hatte, nur daß in ihrem Mund ein merkwürdiger Geschmack nach Blut war. Sie nahm einen Schluck von dem scheußlichen Leitungswasser und versuchte
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