Gillian Shields - Der Zauber der Steine
Pferden umzugehen, das konnte man sehen. »Du hast es verdient, geritten zu werden, meine Schönheit«, sagte sie leise, dann drehte sie sich zu mir. »Wem gehört sie?«
»Seraph ist Miss Scrattons Pferd. Niemand sonst darf es reiten.«
»Was du nicht sagst. Das werden wir ja noch sehen.«
»Mal ehrlich, Velvet, mach bloß keine Dummheiten.«
»Wo ist das Problem?«, fragte sie. »Was kann sie mir schon tun? Mich rauswerfen? Tja, das ist doch genau das, was ich will. Außerdem bin ich eine echt gute Reiterin. Mir passiert schon nichts.«
»Ich dachte eher an das Pferd«, antwortete ich kühl.
Velvet starrte mich verdutzt an, dann brach sie in schallendes Gelächter aus. »Ich mag dich, Sarah. Du bist irgendwie anders. Auf den ersten Blick wirkst du so, wie soll ich sagen, so hilfsbereit, aber ich bin nicht sicher, ob du wirklich so nett bist, wie du tust.«
Ich wurde rot. Evie hatte mich immer »die Gute« genannt. Süß, gut und bekömmlich wie eine reife Frucht. Aber manchmal war es auch anstrengend, gut zu sein. Gut zu sein bedeutete, nicht zuerst an sich, sondern an die anderen zu denken. Auf Dinge zu verzichten, die man selbst gerne mochte. Ich schüttelte nur den Kopf und wandte mich ab. Velvet sollte nicht merken, wie sehr mich ihre Worte getroffen hatten. Ich öffnete die Tür zu einer kleinen Kammer, wo die Sättel und das Zaumzeug gelagert wurden, und begann über das Erstbeste zu sprechen, was mir in den Kopf kam. »Wenn du gerne Reitstunden bei Mrs Parker nehmen möchtest, dann musst du dich hier in das Buch – oh.«
Meine Stimme stockte. Zwei Gestalten, die sich im Dunkel der Kammer sehr nahe gewesen waren, stoben schuldbewusst auseinander. Ein hochgewachsener junger Mann mit weizenblonden Haaren – Josh Parker. Und … Evie.
Drei
O h, Sarah, ich wollte gerade nach dir sehen!«
Evie trat einen Schritt nach vorne und schlang die Arme um mich, doch einen Augenblick lang fühlte ich Enttäuschung in mir aufsteigen. Evies erster Weg nach ihrer Ankunft in Wyldcliffe führte sie nicht zu mir, sondern zu Josh. Und was hatten die beiden da in der schummrigen Ecke gemacht? Hatte sie Sebastian etwa schon vergessen? Doch sofort schämte ich mich meiner egoistischen Gedanken. Ich war einfach überempfindlich. Welches Recht hatte ich, Evie zu verurteilen? Nur unsere Freundschaft zählte, alles andere war unwichtig. Ich drückte sie fest an mich.
»Ich bin so froh, dass du da bist, Evie. Wo ist Helen? Miss Scratton meinte, ihr würdet zusammen ankommen?«
»Stimmt, vor ungefähr zehn Minuten. Helen meinte, sie brauche nach all den Stunden im Zug und im Taxi einfach etwas Bewegung. Sie macht einen Spaziergang ins Dorf, um frische Luft zu schnappen, bevor sie mit dem Auspacken anfängt.«
»Ist sie wirklich ganz allein unterwegs?«
»Aber klar, warum nicht? Unser Jahrgang darf das Schulgelände an den Sonntagen verlassen.«
Das wusste ich auch. Ich dachte vielmehr an die unsichtbaren Gefahren, die rund um Wyldcliffe lauerten.
»Evie, ich gehe dann besser«, sagte Josh, »ich muss mich um die Pferde kümmern. Wir sehen uns, Sarah«, fügte er beiläufig hinzu und schob mich zur Seite, als er die Kammer verließ. Ich spürte den mir wohl bekannten Schmerz, als sich unsere Körper flüchtig berührten. An der Tür blieb er stehen und nickte Velvet zu, die ihn anerkennend musterte, dann wandte er sich wieder zu Evie. »Morgen nach der Schule?« Joshs Stimme war warm, voll von verborgenem Glück. Offensichtlich war er schwer verliebt, aber eben leider nicht in mich. Natürlich nicht. »Um fünf, was meinst du, Evie?«
Doch Evie machte nicht gerade einen glücklichen Eindruck, lächelte aber zurück. »Einverstanden, bis morgen.«
Er ging, und eine bedrückende Stille entstand. Zum Glück hatte ich in Wyldcliffe perfekte Manieren gelernt. »Das ist Velvet Romaine, unsere neue Mitschülerin. Ich habe ihr alles gezeigt. Velvet wird in unsere Klasse gehen. Velvet, das ist meine beste Freundin, Evie Johnson.«
»Hi«, grüßte Velvet betont lässig, »wo habt ihr den denn aufgetrieben? Ich dachte, hier sei männerfreie Zone?«
»Josh ist kein Schüler, er arbeitet manchmal in den Ställen und unterstützt seine Mutter beim Reitunterricht«, erklärte Evie.
Aber Josh war mehr als nur das. Er war unsterblich in Evie verliebt. Nichts Neues für mich, denn ich wiederum war lange Zeit unglücklich in ihn verliebt gewesen. Er hatte sein ganzes Leben in Wyldcliffe verbracht, war mit vielen Geheimnissen vertraut
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