Gillian Shields - Die Schwestern der Dunkelheit - 02
alles so weitergehen wird, wie es unter der engagierten Leitung von Mrs. Hartle gewesen ist. Der Standard wird gehalten werden. Es wird absolut keine Veränderung geben.«
Sie setzte sich abrupt auf Mrs. Hartles großen Stuhl, auf dem sie unbeholfen und deplatziert wirkte. Miss Scratton zögerte einen Moment und sagte dann: »Bitte genießt jetzt euer Essen, Mädchen. Danach wird die Glocke zum Lichtlöschen früher läuten, wie immer am ersten Tag, da ihr alle müde von der Reise sein müsst.«
Die Frauen, die in der Küche arbeiteten, brachten große Platten mit Essen und stellten sie auf die Tische. Die Mädchen begannen gehorsam, sich davon zu bedienen, nachdem der kurze Überraschungsmoment vorüber war. Wyldcliffe-Schülerinnen waren gewohnt, zu tun, was man ihnen sagte. Alles würde so sein wie immer; es würde
keine Veränderungen geben; Wyldcliffe hatte sich nie verändert. Tradition. Ordnung. Disziplin. Es war jetzt genauso, wie es vor hundert Jahren gewesen war.
Ich versuchte auch etwas zu essen, aber ich war nicht hungrig. Celia Hartle mochte gegangen sein, aber ich wusste, dass jede der Lehrerinnen, die die Reihen der Mädchen musterten, eine Schwester der Dunkelheit sein konnte. Wenn Mrs. Hartle wirklich tot war, dann würde über kurz oder lang eine andere Oberste Mistress auftauchen, und sie würde darauf aus sein, sich zu rächen. Ich sah die Lehrerinnen der Reihe nach an: Miss Raglan; Miss Schofield; Mrs. Richards, die Biologie unterrichtete; Madame Duchesne, die Französischlehrerin; Miss Dalrymple und alle anderen. Mein Kopf summte vor lauter Fragen. Hatte eine von ihnen diese Notiz geschrieben? Welche von ihnen war in jener Nacht im letzten Term mit in der Krypta gewesen? Ich hatte Miss Raglan nie gemocht oder ihr getraut, und jetzt hatte sie die Aufsicht über die Schule. War sie also auch die Anführerin des Hexenzirkels? Oder war sie nur eine vertrocknete, alte Lehrerin, besessen von den Regeln und Traditionen dieser elitären Ausbildungsstätte?
Während ich in meinem Essen herumstocherte, sah ich mich unter den anderen Schülerinnen um. Ich bemerkte, dass Harriet über ihren Teller gebeugt dasaß; sie sagte nicht ein einziges Wort zu den Mädchen neben ihr. Ich vermute, dass sie auf die übliche Weise in Wyldcliffe begrüßt worden war. Wenn sie nicht über gutes Aussehen, Geld oder Selbstvertrauen verfügte, war sie dazu verurteilt, sich allein durchzuschlagen. Die übrigen Mädchen – reich, mit vielen guten Beziehungen, attraktiv – schienen
von dem Moment ihrer Geburt an vor jedem Übel bewahrt worden zu sein. Und doch war auch Laura eines dieser goldenen Mädchen gewesen und den Geheimnissen von Wyldcliffe zum Opfer gefallen. Ich hatte plötzlich das Gefühl, dass ich das Übel im Herzen der Abtei am liebsten um unseretwillen ausreißen wollte, und nicht nur um Sebastians willen.
Das Essen war beendet. Weitere Gebete, weiteres strammes Stehen, während die Lehrerinnen hinausgingen, gefolgt von den Reihen der Mädchen. Als Sarah sich umdrehte, um zu gehen, packte ich sie am Arm. »Wir treffen uns mit Helen, wenn das Licht ausgegangen ist«, flüsterte ich.
»Wo?«
Ich formte lautlos drei Worte mit dem Mund: in der Höhle .
Sarah nickte zustimmend und ging wortlos hinter den anderen her nach draußen, machte sich zu ihrem Schlafsaal auf. Ich wandte mich zu Helen um.
»Sehen wir zu, dass wir die Arbeit so schnell wie möglich hinter uns bringen«, sagte ich. Als Stipendiatinnen mussten Helen und ich verschiedene geistlose Aufgaben übernehmen, um unsere unsterbliche Dankbarkeit zu beweisen: die Klassenräume putzen, Musikbücher für den Chor ordnen und ähnliche Dinge. Gewöhnlich stellten wir nach dem Abendessen Chinatassen und Silberlöffel auf Tabletts, die von den Lehrerinnen dann geholt werden konnten, wenn sie in ihrem Gemeinschaftszimmer ihren Kaffee oder Tee einnahmen. Ich ging zum Schrank an der einen Wand des Raumes, wo alles aufbewahrt wurde, und begann, die Tabletts vorzubereiten, während Helen
an der Küchentür klopfte, um sich etwas Sahne geben zu lassen. Eine nervöse Frau in einer ziemlich schmierigen Schürze öffnete die Tür und blinzelte uns an.
»Nein, heute Nacht nicht. Sie will nicht, dass ihr das noch macht. Sie will nicht, dass Schülerinnen hier herumlungern, hat sie gesagt.«
»Wer will das nicht?«, fragte ich.
Aber die Frau schlurfte in ihre heiße Küche zurück. Ich hatte das Gefühl, als würde mich jemand beobachten. Als ich mich umdrehte,
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