Ginster (German Edition)
auf die Spur zu kommen, durch das sie ein Mädchen zu fesseln vermochten. Es mußte an gewissen Gesten liegen, an Redefloskeln und Blicken. Einer sagte immer: Wird gemacht. Wenn er jetzt nicht etwas Besonderes hervorbrachte, ging die Fledermaus fort.
»Wie heißt du mit dem Vornamen?« fragte er sie.
Statt den Vornamen zu verraten, bat sie ihn, etwas Hübsches zu erzählen. Das Mädchen mit dem Krümelchen im Haar kam vorbei, blickte vorwurfsvoll weg und suchte wieder ihren erdichteten Partner. Ginster war traurig über das Mädchen und daß es so lügen mußte. Er befand sich in einem Hafen. Wenn die Fledermaus lächelte, schimmerten ihre Zähne.
»Was soll ich dir erzählen«, sagte er und wünschte sich fort. Sicher setzte sie Beziehungen zu Frauen voraus.
»Ich bin mit einer polnischen Gräfin befreundet«, erklärte er. Er hatte sich schon oft eine polnische Gräfin ausgedacht, die rötlich gefärbte Haare besaß und ihn liebte. Sie reiste in der Welt herum und gab ihm ab und zu telegraphisch ein Rendezvous. Etwa in Nizza. Kam er dann hin, so hielt sie ihn fürstlich frei. Nach einigen Tagen langweilte er sie freilich stets. Sie gähnte und schickte ihn wieder zurück …
»Hören Sie auf. Findest du übrigens Mimi wirklich so schlimm?«
Die Fledermaus führte Ginster zu ihrem Tisch, an dem eine Dame saß, eine große, rauchende, nicht mehr ganz junge Dame mit Puder, Augenwimpern und rötlichen Haaren. Den Namen verstand Ginster nicht. Zu dem Tisch gehörte auch ein junger Mann namens Schilling, der sich mit Mimi in einer Art von Geheimsprache unterhielt. Ginster hätte es für richtiger erachtet, wenn in seiner Gegenwart Anspielungen unterblieben wären, deren Sinn ihm unbekannt sein mußte. Während Schilling plauderte, wehten ihm Löckchen über die Stirn. Er war ein Gemisch aus Salonmusik und geölter Leichtmechanik, die jeden Gegenstand zart zerquetschte. Unaufdringlich setzte er sich in Bewegung, löste Widerstände auf und erreichte sein Ziel. Versuchte Ginster sich am Gespräch zu beteiligen, so hielt er höflich an und tat, als ob er ihm beim Einsteigen hülfe. In Wirklichkeit fuhr er ohne Ginster geräuschlos davon. Die Dame musterte den Saal durchs Lorgnon, lud Mimi für die nächsten oder übernächsten Ferien ein und erwähnte ein Londoner Meeting.Vielleicht hatte das Meeting auch in Paris stattgefunden, der Wein, die Großartigkeit der Dame und ihre meergrüne Brosche betäubten Ginster. Sein Bekannter winkte ihm zu; Ginster winkte zurück, etwas herablassend, weil er so international untergebracht war. Schilling lobte das Fest: fast durchweg höhere Mädchen und jede Freiheit gestattet. Die Löckchen flogen nur so. In abweisendem Ton äußerte die Dame, daß sie die Freiheiten von Bürgermädchen nicht sonderlich schätze. Die Blicke Ginsters weilten auf ihrem Gesicht, das im Sprechen die Bewegtheit einer schönen Grottenformation erhielt. Eine kleine Unruhe entstand, die, wie sich herausstellte, ihren Grund darin hatte, daß ein Herr ausgeglitten und zu Boden gestürzt war. Man half ihm auf und tanzte gleich weiter. »Ich kann mir Fälle denken«, meinte Ginster, »in denen es höflicher wäre, nicht zu helfen. Wenn ich zum Beispiel aus Zufall gleichzeitig mit einem Einarmigen vor einer Tür stünde, möchte ich am liebsten stolpern, um ihn zu nötigen, mir die Türe zu öffnen. Vermutlich käme er sich dann trotz seiner Unvollständigkeit vollständig vor.« Das Lorgnon fixierte Ginster.
»Kommt, ihr beide«, drängte Mimi. Ginster hätte gerne noch mit der Dame gesprochen, schloß sich aber aus Pflichtgefühl der Fledermaus an. Das Glück, jung zu sein, war ihm von älteren Leuten häufig genug angepriesen worden. Sie hatten die erste Liebe so innig verklärt, daß Ginster sie als eine ihm auferlegte Notwendigkeit empfand. Auf sein Befragen erfuhr er, daß die Dame Julia van C. hieß, mit Mimis Mutter befreundet und die Frau eines linksgerichteten holländischen Politikers war; sie befand sich auf der Durchreise in M. Da Ginster das ihm beschiedene Glück nicht durch Hartnäckigkeit herausfordern mochte, schlug er vor, nach Hause zu gehen,aber Schilling wollte noch bleiben. Um die erwachende Liebe zu befördern, blieb auch Ginster. Übrigens störte ihn die Gegenwart Schillings eigentlich wenig, und erst durch eine Überlegung brachte er sich dazu, sie als Störung aufzufassen. Das Krümelchen war verschwunden, der Tisch geräumt, an dem Frau van C. gesessen hatte. Es tat gut, im
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