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Ginster (German Edition)

Ginster (German Edition)

Titel: Ginster (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siegfried Kracauer
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brave Frau, hat der Assessor gesagt. Seien Sie vorsichtig mit dem Trinken, die Brunnen sind vergiftet, heißt’s überall. Der Student war sicher ein Spion … Ich gehe ja schon.«
    Ginster sah zum Fenster hinaus, die Straße war leer, nichts verändert. Er dachte, daß er kein Auftreten habe. Der Assessor trat auf. Man dürfe Untergebene nicht vertraulich grüßen, hatte ihm ein Bekannter gesagt. Wenn der Bekannte in eine Bank oder ein Verwaltungsgebäude kam, ging er einfach am Portier vorbei und wurde sofort vom Generaldirektor empfangen. Niemals würde er, Ginster, zum Generaldirektor gelangen. Sollte er noch in die Stadt? Die großen Ferien hatten begonnen, alle Menschen waren verreist. Ginster betrachtete den Schreibtisch mit den paar Büchern darauf. Der Schreibtisch, der Seitengeländer hatte, wurde von dem Spiegel des Kleiderschranks zurückgeworfen, in dem auch das Waschbecken erschien. Die Gegenstände, die sonst unsichtbar waren, tauchten aus ihren Verstecken auf und sperrten ihn ein. Er fürchtete sich vor dem Waschbecken, die Seitengeländer waren Barrieren. An einem Feiertag war er allein in der Wohnung gewesen und hatte einen Schauerroman verschlungen. Der Angst, die damals über ihn gekommen war, erinnerte er sich heute noch. Kaum, daß er sich dem Zimmerinventar hatte entreißen können, um das Treppenhaus zu gewinnen. Die Stiege wand sich im Dunkeln, aber das neue Glasdach davor leuchteteblau und rot. Es trommelte aus der Ferne. Als öffne sich ihm ein Schlitz, so brach das Geräusch der Menge ab und zu leise durch; klein wie der Mond, der groß ist. Ginster blieb. Sein Nachthemd hatte einen Riß.
    Im Villenviertel lag Herrn Allingers Haus, mit dem Blick auf die Felder, Schienenstränge, Fabriken und Gaskessel, ein friedliches Häuschen, in einem Gärtchen, der Kinder wegen, die alle blond waren. Herr Allinger hatte Ginster für einen Schwimmbadentwurf verpflichtet, den er mit ihm gemeinsam im Interesse einer keramischen Firma ausarbeiten wollte, zu der er geschäftliche Beziehungen unterhielt. Er war ein Kunstgewerbler, den es zur gemächlichen Erzeugung von Landschaftsbildern hinzog. Auf die gemalten Wiesen paßte er selber. Meist ging die Sonne unter. Für private Auftraggeber ersann er Porzellanteller und Kaffeekannen, die sich mit Vorbedacht wölbten. Sie glichen englischen Damen, die allein Italien bereisen und auf einer Bank an einem abgelegenen Zypressenörtchen Romane lesen. Die Metallgegenstände trugen Spuren von Hammerschlägen, die persönliche Liebkosungen waren. Seine Frau wusch die Blumen und Kinder mit einem Gartenhut auf dem Kopf. Daß es im Umkreis des Häuschens regnen könne, schien unmöglich. In den Zimmern war man bei den Geschirren zu Besuch, Buben und Mädchen schlüpften aus Kübeln. Das Atelier hatte die Größe und Reinheit eines Mustergestüts. Auf den Fensterbrettern standen reihenweise fein gespitzte Kohinoors – kleine, gelbe Füllen, die in dem Nordlicht gediehen. Hier schuf inmitten echter Whatmanbögen und bläulich glänzender Pauspapiere, die über eine Art von Wäschemangel rollten, Herr Allinger seine Gebilde. Im Vergleich mit den ausgeführten Gefäßen, die in nichts verrieten, daß sievorher gezeichnet worden waren, wirkten die Entwürfe als riesige Übertreibungen; ihre Linienzüge erinnerten an die Reiserouten von Dampfergesellschaften.
    Ginster trat etwas später als sonst ins Atelier. Schälchen und Gläser blinkten wie immer, er empfand ihre Feinheit als unzart. Sie hätten aus den Zeitschriften stammen können, in denen sie dann wiedergegeben wurden. Zugleich beneidete er sie um ihre Glasur. Herr Allinger stand untätig im weißen Zeichenkittel am Fenster; der Kittel war frisch gewaschen.
    »Die Menge hat noch am späten Abend gestern die Scheiben im Café Imperial eingeschlagen«, sagte er, »eine ausländische Kapelle konzertierte im Café. Es waren schöne große Scheiben.«
    »Gerade eben ließ ich mich rasieren«, erzählte Ginster. »Der Gehilfe fragte mich, ob ich ein Fremder sei. Ich mußte meinen Stammbaum entwickeln, sonst hätte er mich vielleicht geschnitten. Die Leute hängen jetzt alle miteinander zusammen, und jeder weiß etwas Neues.«
    Herr Allinger schwieg. Seine matten Augen blieben hinter der entschieden vorspringenden Nase zurück. Wahrscheinlich wurde sie auch einmal matt. Er hatte früh geheiratet, die Frau war älter als er, nun saß er eingeklemmt zwischen ihrer Rüstigkeit und seinen eigenen Sachen. Auf dem Zeichentisch

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