Girlfriend in a Coma
mein altes Viertel und die es umgebenden Wälder stehen durch ungezählte Blitzeinschläge in Flammen. Meine Freunde haben auf der verzweifelten Suche nach kühler Luft und einer Zuflucht das bißchen, was sie retten konnten, in Minivans geladen, mit denen sie nun versuchen, sich über die verkohlten Stoppeln der nahe gelegenen Golfbahn aus dem Staub zu machen. Unter ihnen brennen die Feuer in den Wohnvierteln an den Hängen wie eine Million Bic-Feuerzeuge, die bei irgendeinem gigantischen, kosmischen Fleetwood-Mac-Konzert in die Dunkelheit hochgehalten werden. Nichts bleibt auf diesem Berghang übrig außer den Grundsteinen von Häusern, unterirdischen Baumwurzeln und einem wirren Labyrinth von Straßen, die vom Nirgendwo ins Nirgendwo führen. Bald, zwei Meilen den Berg hoch, erreicht die Clique ein Clubhaus aus Stein, umgeben von lauter Asche. Aus seinem soliden Inneren heraus beobachten sie die nicht enden wollenden Blitze, wie einen Autounfall, der nie aufhört - Tag für Tag für Tag schrammt, knirscht, splittert und brennt es weiter, übelkeiterregend und monoton.
Die Nacht ist kühl, im Kamin brennen lauter Stühle, und doch ist das Zimmer nur leidlich warm. Zum Abendessen gab es ein paar Hühnerbrühekonserven und grüne Bohnen aus der Dose, die sie in der Küche gefunden haben. Tischdecken und Handtücher dienen als Bettzeug, als eine unerwartete arktische Kältefront sie kurz vor Sonnenaufgang überrascht. Sie rücken zusammen wie Eichelhäher im Januar, die gemeinsam in einem Baumstumpf schlafen, und dennoch wachen sie frierend auf. Doch zum erstenmal seit sieben Tagen ist der Himmel stumm. Auf der anderen Seite des Capilano Canyon sehen sie die schneebedeckten Berge unserer Kindheit, von denen nur noch schwarze Schlacke und Stein übriggeblieben sind.
Den nächsten Tag verbringen sie damit, langsam durch das Straßenknäuel des alten Viertels zu gondeln. Sie sehen nichts als verkohlte Baumstümpfe, geschmolzene Terrassenmöbel und Metallklumpen, die einmal Sportwagen waren. Meine Freunde weinen und stellen fruchtlose Bergungsversuche an. Wendy findet die Skelette der beide Strauße und reicht Linus die Oberschenkelknochen. »Die Sonne geht gleich unter«, sagt Karen. »Laßt uns zum Damm fahren.« Ihre Minivans kurven die schwarzen Serpentinen hinunter, die Innenräume erfüllt vom verrauchten Geruch diverser geretteter Erinnerungsstücke - ein Paar Adidas-ROM-Schuhe, eine Snoopy-Trophäe, ein gerahmtes Foto von Liam Gallagher, ein Becel-Margarinebehälter voller Smaragde und Richards Asbest-Astronautenanzug.
Auf dem Cleveland Dam parken sie am westlichen Ende und gehen zu Fuß bis zur Mitte. Wie versprochen schwebe ich unsichtbar über dem stillen Ablaufkanal. Der Stausee hinter dem Damm steht kurz vorm Überfließen, und Algen im Wasser verleihen ihm einen unirdischen grünen Glanz. Die Straße, die über den Damm führt, ist glatt und glitzert noch von einem plötzlichen Regenguß. Sie sieht aus, als wäre sie mit Diamanten gepflastert.
Leise folgen die anderen Karen auf den Damm. Zum erstenmal seit Wochen hört sie wieder Stimmen. »Die Sonne geht jeden Moment unter«, sagt Karen. »Kniet nieder.“
»Ich knie nicht«, sagt Hamilton.
»Darin laß es«, sagt Richard, und ohne sich weiter um Hamilton zu scheren, lassen sich alle auf die Knie nieder. Hamilton steht mit verschränkten Armen da, sieht der Gruppe zu und fühlt sich wie Noel Coward, der sich auf einer Cocktailparty danebenbenimmt, und dann fällt ihm sein vergangenes wahnwitziges Jahr mit Pam wieder ein, die Drogen, die Sucht, seine Wiedergeburt als Last of the Famous International Playboys - Petula Clark, Brasilia, Le Cote Basque, Jackson Pollock, Linda Bird Johnson und Gimlet Martinis -, die Vorstellungen und Bilder von einer drogenfreien, kultivierten und anständigen Zukunft waren längsti vergessen. Mein Kopf ist jetzt clean, denkt er. Meine Venen sind clean, aber die Welt ist verdreckt. Pam beobachtet ihn aus dem Augenwinkel. Armer Hamilton - Hamilton, der sich immer alles andere als kultiviert gefühlt hat, weil er so weit entfernt von den Zentren des großstädtischen Glamours aufgewachsen ist. Doch Pam kennt die Leere im Herzen jener Welt, und sie weiß, daß Hamilton durch sie ebenfalls etwas davon erfahren hat. Sie denkt zurück an das verrückte letzte Jahr, das sie auf Drogen verbracht haben, und dann an das Wunder, als sie plötzlich clean waren. Sie schaut durch den verkohlten Wald hindurch auf das Skelett der Stadt.
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