Giselles Geheimnis
kleinen Landes zu füllen. Aldo war kein Geschäftsmann, sondern eher der akademische Typ. Ihm behagten die harschen Regeln der modernen Geschäftswelt nicht, er katalogisierte lieber die wertvollen alten Bücher der Schlossbibliothek von Arezzio.
Stefano war dankbar dafür, dass sein Vater nicht der ältere Bruder gewesen war und ihm als Sohn somit die Bürde erspart geblieben war, Großherzog zu werden, zu heiraten und einen Erben zu zeugen. Auch wenn er von der Heirat zwischen Aldo und Natasha nicht begeistert gewesen war, weil er nicht glaubte, dass Natasha seinen Cousin wirklich liebte, so würde die Begeisterung kommen, sobald die beiden ein Kind bekamen. Das hieße dann nämlich, dass er nicht nur einen, sondern zwei Schritte entfernt vom Fürstenthron stand. Stefano schlug seiner Mutter nach, liebte die Aufregung und das Abenteuer neuer Herausforderungen. Sie hatte ihr Leben der Wohltätigkeit verschrieben gehabt, hatte Mann und Sohn geliebt, aber die Kindererziehung war niemals der Fokus ihres Lebens gewesen.
Was ihn persönlich anbelangte, so hielt er es schlichtweg für falsch, zum jetzigen Zeitpunkt ein Kind in die Welt zu setzen, wusste er doch, wie wenig Zeit er für ein Kind haben würde. Ihn trieb seine Arbeit an, er wollte Grenzen erweitern und Luxusresorts schaffen, die sowohl mit der Natur als auch mit der heimischen Industrie in Einklang standen. Diesem erklärten Ziel widmete er seine gesamte Zeit und Energie. Er brauchte kein Kind, das dann von anderen aufgezogen wurde, er brauchte auch keinen Erben. Wenn es so weit war, dass er sein Geschäft übergeben wollte, würde er schon die richtigen Hände finden, denen er es überlassen konnte.
Seinen Cousin zu finanzieren und damit auch das Land selbst, war ein geringer Preis für seine persönliche Freiheit. Eine Freiheit, die er nicht aufzugeben gedachte, weder aus landespolitischen noch privaten Gründen.
Stefano konnte sehen, dass dem Seniorpartner die Änderungen für den vormaligen Entwurf der Maßnahmen auf der Insel nicht wirklich zusagten. Es irritierte ihn immer, wenn die Leute nicht verstehen konnten, was ihn antrieb. Das bewies nur einen Mangel an Weitblick und das Fehlen von Visionen, somit also auch einen beschränkten finanziellen Sachverstand. Weshalb diese Firma zweifelsohne am Rand des Bankrotts stand – oder stehen würde, wenn er nicht soeben zugesichert hätte, dass er mit der Entwicklung der Insel weitermachen wollte. Denn er hatte sich überlegt, dass es nichts schaden konnte, wenn er seinem Geschäftsportfolio ein Architekturbüro hinzufügte, das seine Projekte realisierte.
Im Moment jedoch ging es darum, den Leuten klarzumachen, dass er nicht die Summen zahlen würde, mit denen man hier offensichtlich gerechnet hatte. Und dass er Budget und Plan sehr genau im Auge behalten würde. Er besaß ein Milliardenvermögen, weil er die Kontrolle nicht aus der Hand gab. Deshalb vergrößerte sich sein Vermögen auch ständig, während andere reiche Männer Minusgeschäfte machten.
„Ich möchte alle sehen, um klarzustellen, dass ich von jetzt an das Sagen habe. Ich gebe die Anweisungen, und es ist meine Genehmigung, die sie einholen müssen“, teilte er dem Seniorpartner mit. „Der vorherige Plan war nichts als eine Geldverbrennungsmaschine.“
„Es hieß ursprünglich auch, dass keine Kosten gescheut werden sollten“, versuchte Mr Shepherd sich zu rechtfertigen.
Stefano bedachte ihn mit einem kühlen Blick. „Deshalb hat einer Ihrer Juniorarchitekten wohl auch handgemachte Fliesen für ein Atriumhaus gewählt, die nicht frostfest sind, oder?“
„Ein Planungsfehler, der vor der Freigabe bemerkt worden wäre“, versicherte Mr Shepherd.
„Natürlich. Nur erwarte ich von Leuten, die für mich arbeiten, dass solche Fehler gar nicht erst vorkommen.“ Stefano schaute auf seine Armbanduhr, und Mr Shepherd erhob sich.
„Unsere Mitarbeiter sind alle im Haus. Ich werde die, die bei den Plänen mitgewirkt haben, zusammenrufen“, meinte er eher unwillig.
„Ich habe eine bessere Idee“, widersprach Stefano. „Führen Sie mich durch die Räume und stellen Sie mich den einzelnen Leuten vor. Dann kann ich mir auch gleich ein Bild davon machen, wo und wie sie arbeiten.“
Die Neuigkeit verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Das Projekt ging weiter, niemand würde entlassen werden müssen. Nach den letzten beiden Monaten in Unsicherheit ging ein Ruck der Erleichterung durch die Belegschaft.
Auch Giselle war erleichtert. Sie
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