GK0134 - Die Drachenburg
Höhe.
Der Count schloß die Tür.
Sandra lehnte an einer der dicken Säulen und schluchzte. Erst jetzt kam der Schock, den die vorher empfundene Todesangst mit sich gebracht hatte.
»Ich habe Ihnen doch gesagt, Sie kommen hier nicht mehr raus. Nicht als normaler Mensch. Und jetzt hören Sie auf zu weinen, das Essen wartet. Sie hätten sich alles ersparen können.«
Der Count faßte Sandra an der Schulter und führte sie wieder zu ihrem Platz. Den Stuhl hatte er aufgehoben.
Auf dem Tisch standen die erlesensten Speisen. Blutroter Wein funkelte in geschliffenen Kristallgläsern. Ein dreiarmiger Leuchter stand in der Mitte des Tisches. Brennende Kerzen steckten in den Vertiefungen.
Der Count hob sein Glas. »Trinken wir auf das Wohl und die Rückkehr Tok-Els, dem Drachengott, der vor tausenden von Jahren einmal Herrscher dieser Inseln war, und dem unsere Vorfahren, die Kelten, ihre Opfer gebracht haben.«
Der Count wartete, bis Sandra ebenfalls ihr Glas erhoben hatte, und nahm dann einen tiefen Schluck von dem blutroten Wein, »Es ist das Feuer des Lebens«, sagte er. »Dieser Wein wird auch dich, Sandra Lee, in den Kreis der Auserwählten um Tok-El einbeziehen. Genieße ihn wie eine Kostbarkeit. Er ist der Diamant unter den Weinen.«
Sandra hatte getrunken, und Sekunden später schon merkte sie die Wirkung. Das Blut rauschte in ihren Ohren. Sie fühlte sich leicht beschwingt, Farben wallten vor ihren Augen auf, sie sah den Count of Blackmoor in einem Farbenwirrwarr zerplatzen, und als ihr Bewußtsein wieder vollständig da war, erkannte sie den Drachenkopf auf den Schultern des Count.
Das war zuviel für Sandra Lee.
Ohnmächtig sank sie vom Stuhl.
***
Wie aus unendlich weiter Ferne hörte sie den Gesang. Es waren helle Frauenstimmen, die sich zu einem eintönigen Singsang vereinigten und die finstere Druidengottheit in einer unbekannten, längst vergessenen Sprache beschworen.
Sandra öffnete die Augen. Sie lag mit dem Rücken auf einem kalten Stein. Man hatte sie ausgezogen, und ihr Körper wurde von rot-violettem Licht übergossen, das aus den Augen eines Ungeheuers drang.
Noch begriff Sandra nicht. Erst als das funkelnde Schwert über ihrem Kopf schwebte, kam die Erinnerung wieder.
Man wollte sie töten!
»Bleib liegen«, sagte der Count of Blackmoor, und jetzt sah Sandra, daß er es war, der das Schwert hielt.
Der Count hatte sich umgezogen. Er trug ein schwarzes Gewand, auf dem dunkelrote, gräßlich anzusehende Drachenköpfe gestickt waren. Der Griff des Schwertes war ebenfalls in der Form eines Drachenkopfes gefertigt, und die Spitze schwebte dicht über Sandras Kehle.
»Sie – Sie wollen mich töten?« hauchte die junge Studentin, und in ihren Augen glomm die Todesangst.
Der Count schüttelte den Kopf. »Nein, ich nicht. Tok-El wird dich töten und dir anschließend wieder das Leben schenken. Doch dieses Schwert, das ich hier in der Hand halte, wird dich nach deiner Wiedererweckung begleiten. Es ist das Drachenschwert, das dich so gut wie unbesiegbar macht, denn es wird ein Stück von dir sein.«
»Wie – wie soll ich das verstehen?«
»Warte es ab. Noch ist die Zeit nicht gekommen.«
»Und wo bin ich hier?« fragte Sandra, die sich darüber wunderte, daß ihre Angst wie weggeflogen war.
»Du befindest dich im Tempel des Tok-El, tief in den Gewölben der Burg, wohin der unselige Fluch den Drachengott verbannt hat. Sieh dich nur um, es wird bald deine Heimat sein, denn wenn Tok-El nicht mehr ist, bist auch du nicht mehr.«
Der Count of Blackmoor trat einige Schritte zur Seite und gab Sandra den Blick auf das unheimliche Gewölbe frei.
Es war eine kuppelförmige riesige Höhle, in die man Sandra Lee gebracht hatte. Beherrscht wurde die Höhle von einer gewaltigen Steinfigur, die das Aussehen eines urwelthaften Drachens besaß. Der Steingötze reichte bis zur Decke. Das große Drachenmaul war weit aufgerissen, und eine gespaltene rotglühende Zunge stach meterweit daraus hervor. Der Drache stand hoch aufgerichtet und hatte die Vorderpranken angewinkelt. Das Licht, das aus den hervorquellenden Augen drang, übergoß die gesamte Höhle mit seinem unheimlichen Licht.
Es war ein schauriges Bild, das sich Sandra Lees Augen bot, doch seltsamerweise hatte das Mädchen keine Angst vor dem Drachenungeheuer. Sandra sehnte sich geradezu nach einer Berührung mit diesem schrecklichen Götzen aus finsterer Vorzeit.
Jeweils drei Dienerinnen standen zu beiden Seiten des Drachens. Es waren die
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