GK0157 - Zirkus Luzifer
wer? Angst kroch in dem Mädchen hoch. Vergeblich versuchte Cora ein Zittern ihrer Glieder zu unterdrücken. Die Angst war einfach stärker.
Diese Unentschlossenheit wurde Cora Bendix zum Verhängnis.
Als sie endlich losrennen wollte, war es zu spät.
Der Unbekannte war plötzlich hinter ihr. Ein bärenstarker Arm umfaßte Coras Leib, riß das Mädchen zurück, und dann spürte es die scharfe Klinge eines Messers an ihrer Kehle…
***
Starr vor Angst hing Cora Bendix in den Armen des Unbekannten. Und doch arbeitete ihr Gehirn in diesen schrecklichen Sekunden auf Hochtouren, suchte nach einer glaubhaften Ausrede.
»Wenn du auch nur einen Laut von dir gibst, schneide ich dir die Kehle durch«, flüsterte eine rauhe Männerstimme.
Cora gab es einen Stich. Sie kannte die Stimme nur zu gut. Sie gehörte Lui Latero, dem Messerwerfer. Und Cora wußte auch, daß Latero ein treuer Diener des Mandarin war.
Ihre Chancen zerrannen wie Butter in der Sonne.
Das Messer verschwand. Cora sah die Klinge noch kurz aufblitzen, und dann bekam sie einen harten Schlag in den Rücken, der sie gegen den Traktor warf.
Cora konnte sich nicht schnell genug abstützen und prallte mit dem Kinn gegen einen vorspringenden Gegenstand. Der Schmerz fuhr ihr bis in den letzten Gehirnwinkel. Noch im gleichen Atemzug spürte sie eine harte Hand auf ihrer Schulter, die sie zurückriß.
Aus einer Handbreit Entfernung starrten sich Cora Bendix und Lui Latero in die Augen.
Der Blick des Messerwerfers war von tödlicher Kälte. Latero trug noch immer sein Kostüm. Nur den breitkrempigen Stetson hatte er abgenommen. Das ölig glänzende, schwarze Haar fiel ihm bis in den Nacken.
»Bist du mir nicht eine Erklärung schuldig?« fragte Latero gefährlich leise. »Aber ich rate dir gut. Laß dir ja die Wahrheit einfallen, sonst prallt kein Messer mehr ab.«
Der Messerwerfer hatte Coras Handgelenke gepackt und drückte sie zusammen.
»Ich warte!« zischte er.
Cora zog pfeifend den Atem ein. »Ich – ich wollte ein wenig frische Luft schnappen«, sagte sie. »Mir war es nicht besonders.«
»Wirklich nur Luft schnappen?« höhnte Latero und drückte zu.
Cora Bendix stöhnte auf und ging in die Knie.
Wie aus unendlicher Ferne vernahm sie die Beifallsovationen aus dem Zelt. Sie wußte, daß die Vorstellung jetzt beendet war. In wenigen Minuten würden die Menschen aus dem Eingang strömen. Und sie hatte vorgehabt, mit ihnen zu laufen und…
Coras Gedankenkette zerbrach. »Du wolltest abhauen, wie?« zerschnitt die kalte Stimme des Messerwerfers sie Stille.
»Ich – ich…«
»Ja oder nein?« Latero drückte wieder fester zu.
»Ja!« schrie Cora Bendix. »Ja, ich wollte weglaufen. Ich wollte nicht mehr…« Ein Tränenstrom erstickte ihre weiteren Worte.
»Ich hatte es mir doch gedacht!« Latero lachte und riß Cora Bendix hoch. »Dein Benehmen war in den letzten Tagen schon recht seltsam. Wie gut, daß ich dich nie aus den Augen gelassen habe. Na, der Mandarin wird sich freuen.«
Cora hörte jetzt Stimmen und Gelächter. Die übrigen Mitglieder der Zirkustruppe verließen das Zelt und strebten auf ihre Wohnwagen zu. Lichter flammten auf, zerschnitten mit ihren hellen Inseln die Finsternis.
»Los, geh!« kommandierte der Messerwerfer. »Aber denke daran, daß ich immer hinter dir bin.«
Cora versuchte es ein letztes Mal. »Bitte, Lui«, flüsterte sie. »Bitte, laß mich gehen. Ich werde nichts sagen, ich verspreche es dir.«
»Halt dein Maul. Wir gehen beide. Aber zum großen Mandarin. Was meinst du, wie er sich freuen wird. Bestimmt gibt er dir heute noch eine Galaschau. Und jetzt vorwärts.«
Lui Latero packte das Mädchen kurzerhand an den langen schwarzen Haaren und stieß sie mit der anderen Hand ins Kreuz.
Latero war voller sadistischer Vorfreude auf das, was gleich noch folgen würde…
***
Im Innern des Zeltes war es stockdunkel.
Als Lui Latero die Plane zur Seite schob, kam es Cora Bendix vor, als würde sie geradewegs in den Schlund der Hölle gehen. Sie zögerte.
Lateros Stoß in den Rücken warf sie vor, und einen Atemzug später wurde sie von der Dunkelheit verschluckt.
Lui Latero zog die Klappe des Seiteneingangs wieder zu. Jetzt war Cora endgültig gefangen. Gefangen in einem Grab, das sich Manege nannte und noch vor einer halben Stunde mit Zuschauern gefüllt war.
Hinter Cora knirschten die Schritte des Messerwerfers im Sand.
»Geh weiter, Süße«, flüsterte Latero, »bis in die Mitte der Manege. Du kennst dich
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