GK0176 - Der Alptraum-Friedhof
zehn Uhr.«
»Oh, das ist ja schon in einer Viertelstunde.«
»Ja, und die anschließende Trauerfeier findet hier im Hotel statt.«
»Gut.« Kommissar Mallmann nickte. »Ich gehe nur noch nach oben und ziehe mir etwas über. Warten Sie bitte auf mich, wir können ja dann gemeinsam gehen.«
Will Mallmann sah es dem Hotelbesitzer an, daß ihm bei dem Gedanken an die Beerdigung nicht ganz wohl war, aber wenn der Kommissar einmal eine Spur aufgenommen hatte, dann war er wie ein Bluthund. Er hatte plötzlich das Gefühl, daß sich dieser Urlaub ganz anders entwickeln würde, als er ihn sich vorgestellt hatte. Und darin sollte sich Will Mallmann auch nicht getäuscht haben…
***
Der Springbrunnen vor dem Hotel stieß seine drei Wasserfontänen in die Höhe, die schräg aufeinander zuliefen, sich vereinigten und wieder zusammenfielen. Das Rauschen des Brunnens war eine stetige Melodie, die den gesamten Tag über Gäste und Personal begleitete und einen gewissen Hauch von Romantik vorspielte. Will Mallmann wartete neben dem Brunnen. Der Wind trieb ihm feine Wasserspritzer ins Gesicht, doch das störte den Kommissar nicht. Drehte er den Kopf nach rechts, so sah er auf die Frontseite des Hotels, mit den Parkplätzen, die von Blumenrabatten und Buschgruppen umgeben waren. Man mußte um die Parkplätze herumgehen, um zum Friedhof zu gelangen, und der Weg vom Dorf her führte am Hotel Waldfrieden vorbei.
Noch immer kamen die Menschen zur Beerdigung. Fast alle Altersgruppen waren vertreten, sogar Kinder wurden an den Händen ihrer Eltern mitgeführt.
Die Trauergäste trugen Schwarz, hielten die Köpfe gesenkt und sprachen nur leise miteinander.
Kommissar Mallmann wurde kaum ein Blick zugeworfen. Er war ein Fremder, gehörte nicht in das Dorf.
Von der Dorfkirche läutete die Totenglocke. Dünn schwang der Klang durch die klare Luft. Kommissar Mallmanns Blick wanderte über die Dächer der Häuser hinweg, bis hin zu der Schnellstraße, die in Richtung der Schweizer Grenze führte. Die Autos wirkten klein wie Spielzeuge.
Dann kam Harry König. Sein Gesichtsausdruck war ernst, als er die gläserne Hoteltür in Bewegung setzte.
»Entschuldigen Sie, daß ich Sie habe warten lassen«, sagte er, »aber der Anruf war dringend.«
Mallmann winkte ab. »Ist doch klar.«
Noch immer kamen die Menschen. Harry König grüßte fast jeden, der vorbeiging.
Die Totenglocke hatte aufgehört zu läuten. Der Priester und die beiden Meßdiener gingen vorbei. Kommissar Mallmann und Harry König schlossen sich ihnen an.
Das schmiedeeiserne Tor des Friedhofs war weit geöffnet. Der Herbstwind strich durch die Ulmen und Trauerweiden, warf das erste braun gefärbte Laub zu Boden.
Die Natur begann langsam abzusterben, aber nur, um im nächsten Frühjahr wieder voll aufzublühen. Ein ewiger Kreislauf, in den der Mensch zum Glück noch nicht eingegriffen hatte.
Die kunstvollen Grabsteine und Kreuze glänzten noch vom Tau der Nacht. Das Blätterdach der Bäume hielt die meisten Sonnenstrahlen ab. Es war unangenehm kühl auf dem Totenacker. Will Mallmann konnte ein Frösteln nicht unterdrücken.
Die Leichenhalle faßte längst nicht alle Menschen. Viele Trauergäste mußten draußen bleiben. Sie standen schweigend und mit gesenkten Köpfen auf dem Fleck.
»Ich habe gehört, daß der Sarg noch offen ist«, flüsterte Harry König dem Kommissar zu. »Wenn Sie sich den Toten ansehen wollen…«
»Ja.«
Die beiden Männer schlossen sich den Menschen an, die die Leichenhalle betraten und dem Toten den letzten Gruß erwiesen. Dämmerlicht nahm die Männer auf. Der Sarg stand in der Mitte der Halle, wurde von Buchsbäumen und einem Berg von Kränzen flankiert. Am Kopf- und Fußende des Sarges brannten jeweils zwei Kerzen. Ihre flackernden Flammen übergossen die Gesichter der Menschen mit zuckenden Schatten.
Manch einer weinte haltlos, als er den Sarg passierte. Zahlreiche Frauen hielten Taschentücher gegen Mund und Nase gepreßt. Der alte Leitner mußte sehr beliebt gewesen sein.
»Hatte er eine besondere Position im Dorf innegehabt?« fragte Will Mallmann leise.
»Er ist in den sechziger Jahren Bürgermeister gewesen«, gab Harry König flüsternd zurück.
»Deshalb also.«
Die Männer hatten sich in die Schlange der Trauergäste eingereiht. Vor Will Mallmann ging eine Frau. Sie hatte den Kopf gesenkt und weinte in ihr Taschentuch.
Nur noch ein Meter trennte ihn jetzt von dem Sarg. Die Frau vor ihm hatte ihn bereits erreicht und brach
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