GK0202 - Der Fluch der schwarzen Hand
Flammen im Kamin.
»Komm rein, und mach die Tür zu!« sagte Fatty.
Ritchie Parson gehorchte. Mit dem Fuß trat er die Tür ins Schloß. In seinen Augen stand ein seltsames Glitzern. Er riß die Verschnürung der Kapuze auf, streifte sie vom Kopf und schüttelte das lange braune Haar.
Ritchie Parson sah älter aus, als er in Wirklichkeit war. Man hätte ihn gut und gern auf fünfzehn Jahre geschätzt. Er war hochgewachsen, hatte ein schmales Gesicht und eine lange gerade Nase. Die Augenbrauen wuchsen in Nähe der Nasenwurzel fast zusammen und gaben dem jungen Gesicht einen etwas verschlagenen Ausdruck.
Mit der rechten Hand zog Ritchie den Reißverschluß seiner Jacke herunter.
Er trug noch einen langen, dunkelgrünen Pullover, der den Gürtel seiner Jeans verdeckte.
»Was willst du?« fragte der alte Fatty.
Ritchie grinste nur.
»Was du willst, habe ich dich gefragt!«
Der Junge sah sich um. »Dich einmal besuchen, Alter!«
Er sprach wie ein Erwachsener. Seine Stimme klang lauernd und kalt zugleich. Fast schien es, als spräche aus seinem Mund ein anderer.
Fatty senkte den Lauf der Waffe. Er hatte eingesehen, daß ihm von diesem Jungen keine Gefahr drohte, obwohl ihn Ritchie am gestrigen Tag noch mit einer Luftpistole beschossen hatte.
»Du hast mich ja noch nie besucht«, sagte Fatty.
»Einmal muß es ja sein – oder?«
»Nur finde ich den Zeitpunkt etwas ungünstig. Du müßtest an sich schon im Bett liegen. Wissen deine Eltern Bescheid?«
»Die haben Besuch.«
»Hm.« Der Alte überlegte. Mit der linken Hand strich er sich durch seinen Bart. »Es ist ja klar, daß du nicht bei mir bleiben kannst. Du kannst mich gerne besuchen, aber tagsüber. Außerdem möchte ich, daß du dich entschuldigst.«
»Wofür?«
Verständnislos schüttelte der Alte den Kopf. »Du hast schließlich auf mich geschossen.«
»Na und?«
Dem alten Fatty platzte der Kragen. »Verschwinde jetzt, sonst jage ich dich aus der Hütte.«
Der Junge begann zu lachen. Es war ein widerliches Gelächter. Höhnisch und herausfordernd zugleich.
Der alte Fatty bekam plötzlich ein ungutes Gefühl. Er wußte, daß er den Jungen nicht so einfach abwimmeln konnte, daß Ritchie Parson sehr wohl einen Grund gehabt hatte, ihn zu besuchen. Der Junge hatte irgend etwas vor.
Aber was?
Herausfordernd steckte Ritchie beide Hände in die Hosentaschen und tat so, als wolle er mit lässigen Schritten an Fatty vorbeigehen. Als er mit dem Alten auf gleicher Höhe war, wirbelte er auf einmal herum und schlug mit der geballten Faust auf Fattys rechten Unterarm.
Der Alte hatte gar nicht mitbekommen, wie rasch Ritchie seine rechte Hand aus der Hosentasche herausgezogen hatte. Er spürte nur einen sengenden Schmerz, konnte das schwere Gewehr nicht mehr halten und ließ es fallen.
Ritchie trat dagegen. Dicht neben dem Kamin blieb die Waffe liegen.
Der Alte hielt sich den rechten Arm. Sein Gesicht war schmerzverzerrt. Er stand gebückt und blickte Ritchie von unten her an.
»Was – was willst du?« keuchte Fatty.
Ritchie gab ihm einen Stoß, daß er bis gegen die Wand fiel. Auch sein Gesicht war verzerrt, aber nicht vor Schmerzen, sondern die Mordlust zeichnete sich darin ab.
Und der alte Fatty verstand.
Er schüttelte den Kopf. »Nein«, flüsterte er, »du – du wirst das doch nicht machen. Ich bin nicht reich. Ich…«
Ritchie Parson griff unter seine Jacke und zog ein Messer hervor. Es hatte eine breite Klinge und wurde meist von Fallschirmjägern benutzt. Der Widerschein des Feuers tanzte auf dem Stahl.
Keuchend lehnte der alte Fatty an der Wand. Ungläubigkeit stand in seinen Blicken zu lesen.
»Das – das wirst du doch nicht machen, Ritchie«, sagte er. »Du willst doch nicht…«
»Doch, ich will!«
Beinahe gelassen sprach Ritchie Parson die Worte aus, während er langsam auf den Alten zuging.
»Satan will es so!« flüsterte er. »Satan will es so!«
Er hob den rechten Arm.
»Neiiinnn!« brüllte der Alte.
»Doch!« schrie Ritchie und stieß zu…
***
»James, bitte, wo kann ich Ritchie finden?«
Lady Parson stand im Türrechteck, hielt eine brennende Zigarette, die in einer langen Spitze steckte, in der Hand und sah den Butler vorwurfsvoll an.
Würdevoll drehte sich James um. Er war das Gegenteil eines typischen englischen Butlers. Klein, mit rosigen Wangen und einem leichten Bauchansatz, über den sich die gestreifte Weste spannte.
»Sorry, Madam, aber ich habe Ihren Sohn nicht gesehen.«
»Zu dumm«, sagte die Lady.
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