GK0202 - Der Fluch der schwarzen Hand
verlassen?« fragte Lady Parson.
»Nein, das kommt gar nicht in Frage«, mischte sich Gladys Harris ein. »Wir bleiben hier.«
Mrs. Harris war eine sehr resolute Frau. Sie wußte, wie man das Leben anpacken mußte. Sie sah für ihre fünfundvierzig Jahre noch gut aus.
Das dunkle Haar hatte sie im Nacken zu einem Knoten zusammengebunden, was ihrem runden Gesicht allerdings eine sehr reizvolle Note gab. Ihre Figur war zwar nicht mehr die eines jungen Mädchens, aber immer noch recht ansehnlich. Gladys Harris hatte freundliche Augen und zwei Grübchen am Kinn. Sie war meistens gut gelaunt.
Der Butler kam. Auf seinen beiden Händen balancierte er den Sektkübel. Der Hals einer Flasche schaute hervor.
»Nachschub!« rief Spencer Harris mit seiner Polterstimme. »Sie werden mir immer sympathischer, mein lieber Lord.«
Lord Parson lächelte gequält und blickte zu seiner Frau, die ebenfalls gute Miene zum bösen Spiel machte. Immer wenn Harris etwas getrunken hatte, kam seine Mentalität durch. ›Dann merkt man, woher diese Person kommt‹, pflegte die Lady bei solchen Gelegenheiten ihrem Gatten zuzuflüstern. Daß sie selbst auch nicht gerade die glücklichste Figur machte, übersah sie großzügigerweise.
Der Butler schenkte die Gläser voll.
Perlend stiegen die Gasbläschen der Oberfläche des Champagners entgegen.
Der Butler verzog sich schweigend, nicht ohne sich an der Tür noch einmal zu verbeugen.
Lord Parson stand auf und hob sein Glas. »Noch einmal möchte ich auf das Wohl unserer beiden lieben Gäste trinken«, sagte er und bemühte sich um ein freundliches Gesicht. »Cheerio, dann.«
Die vier tranken. Spencer Harris war schon in Form. Er leerte sein Glas in einem Zug und wischte sich dann über die Lippen, wobei er noch dumm lachte.
»Dieser Mann ist unmöglich«, flüsterte Lady Parson ihrem Gatten zu.
»Wem sagst du das.«
»Eigentlich könnte ich jetzt ein Tänzchen wagen«, rief Spencer Harris. Er zog sich sein Smokingjackett glatt und wollte auf Lady Parson zugehen, doch Gladys Harris hielt ihren Mann zurück.
»Bitte, Spencer. Für uns wird es Zeit.«
Lord und Lady Parson atmeten innerlich auf. Und wieder einmal geschah das, worüber sie sich schon oft gewundert hatten. Spencer Harris tat das, was seine Frau sagte.
Mit gezieltem Schwung warf er seine Zigarre in den Aschenbecher.
Der Butler – aufmerksam wie immer – hatte schon die Mäntel bereit gehalten.
Er half zuerst Mrs. Harris und dann ihrem Gatten in den Mantel.
Der Privatchauffeur hatte die Harris hergefahren. Der Mann wartete draußen im Wagen.
Lady und Lord Parson brachten ihre Gäste noch bis zur Tür. Dort verabschiedeten sie sich dann.
Es fielen die üblichen Worte. Wie sehr man sich gefreut habe und so weiter…
Als Harris’ schwerer Mercedes 600 anfuhr, atmeten Lady und Lord Parson auf. Dieser Abend war wieder einmal überstanden. Sie ahnten allerdings noch nicht, daß das Schicksal in dieser Nacht noch eine besondere Überraschung für sie bereit hielt.
»Sie können aufräumen«, wies Lord Parson den Butler an, um dann seiner Frau in die oberen Räume zu folgen, wo die Privatgemächer der Adeligen lagen.
Auch Lady Parson hatte ziemlich viel getrunken, dennoch hielt sie sich gerade. Außerdem bereitete ihr das Verschwinden ihres Sohnes große Sorgen.
»Du mußt mal mit Ritchie sprechen, Averell«, sagte sie zu ihrem Mann. »So geht das einfach nicht weiter.«
Lady Parson stand auf dem breiten Gang mit der Ahnengalerie an der Wand. Nachdenklich betrachtete sie das Bild ihres verstorbenen Schwiegervaters.
»Und was soll ich ihm deiner Meinung nach sagen?« fragte der Lord. »Ich habe doch alles getan. Wir haben es mit Güte und Strenge versucht. Ritchie hat einen Hauslehrer bekommen, er hat seine Freiheiten, er braucht keine Not zu leiden. Ich weiß auch nicht, was du willst. Und ich weiß vor allen Dingen nicht, auf wen der Junge herauskommt. Du bist nicht so und ich auch nicht.«
Lord Parson stand am Fenster. Sein Blick verlor sich in der Dunkelheit. An der Rückseite des Gutshauses brannte keine Laterne. Der große Park wirkte wie in schwarze Watte getaucht.
Dorothy Parson legte ihrem Mann die Hand auf die Schulter. Mit leiser Stimme sagte sie: »Ich möchte, daß du mir mal einen Moment lang zuhörst, Averell.«
Der Lord wandte sich um. Erstaunt hob er die Augenbrauen. Selten hatte er seine Gattin so ernst gesehen.
»Was gibt es denn?«
»Ich möchte dir ein Geständnis machen, Averell.«
Der Lord
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