GK083 - Der Henker aus dem Totenreich
gleich nebenan war sein Schlafzimmer. Durch eine kaum wahrnehmbare Tapetentür zu erreichen. Ein heißes Verlangen brannte in Carrona.
Er war siebenundvierzig und seiner Frau überdrüssig. Er brauchte die Bestätigung anderer Frauen, dass er noch eine charmante Persönlichkeit war. Die anderen Frauen verkörperten für ihn den Reiz des Neuen. Er war jedes Mal aufgeregt wie ein Primaner, wenn es passieren sollte. Er brauchte dieses Prickeln, brauchte das Wissen, immer noch ein Mann von vitaler Spannkraft zu sein. Seine langweilige Frau konnte ihm dieses Gefühl nicht mehr vermitteln.
Carronas Haarwuchs lichtete sich bereits stark. Durch seine dunklen Haare schimmerte die Kopfhaut. Er hatte eine grobe Hakennase und den stumpfen Blick eines Brillenträgers, der jedoch zu eitel ist, um die Brille ständig zu tragen.
Durch Massage und spezielles Bauchmuskeltraining hielt er den Fettansatz um die Körpermitte in erträglichen Grenzen. Er aß nicht unmäßig viel, aber er trank, und das brachte ihm die vielen Kalorien ein, die so schwer abzubauen waren.
Auch heute war er wieder leicht betrunken.
Wo bleibt sie nur?
Wann kommt sie endlich?
Sie wird doch kommen! , dachte er nervös.
Da hörte er ihre leisen Schritte. Die Tür öffnete sich. Sie kam herein wie eine Diebin.
»Ich habe ein schlechtes Gewissen, Angel!«, sagte sie seufzend.
»Versuche an nichts zu denken, Kirsten. An gar nichts. Außer an uns beide und an das, was uns glücklich machen wird«, sagte er. Und er küsste sie stürmisch auf den Mund, auf die Wangen, auf die geschlossenen Augen. Er fühlte ihr Beben und wusste, dass sie bereit war.
»Komm!«, flüsterte er.
Er hatte sie bei der Hand genommen. Sie wehrte sich nicht, sträubte sich nicht einmal, als er sie auf die Tapetentür zuzog. Sie wusste, wohin er sie bringen wollte, und war damit einverstanden.
Schon hatten sie die Tür erreicht.
Er sah ihr tief in die Augen, während er die Tür schnell aufstieß.
Sein Bett war breit. Es herrschte keine vollkommene Dunkelheit im Raum, weil durch das Fenster ein heller Vollmond schien.
»Ich werde die Vorhänge…«
»Nein!«, sagte Kirsten hastig. »Lass sie, wo sie sind, Angel. Ich liebe das Licht des Mondes.«
»Wie du willst, meine Angebetete«, flüsterte er in ihr Ohr. Seine Hände betasteten sie. Er fand einen schnellen Weg in ihr Dekolleté und wurde von einer heißen Woge der Leidenschaft erfasst.
Sie ließ alles mit sich geschehen, stand da, hatte den Kopf zurückgeneigt und die Augen geschlossen. Sie genoss seine Liebkosungen, fühlte, dass sie nicht mehr lange würde passiv bleiben können.
Er zog den Reißverschluss ihres Kleides auf.
Als er sie aus dem Stoff schälen wollte, bemerkte sie, dass sie ihr Platinarmband verloren hatte.
Sie sagte es ihm.
»Wir suchen es später!«, keuchte Carrona.
»Es ist sehr wertvoll.«
»Ich kaufe dir ein wertvolleres.«
»Es ist ein Geschenk von Herrmann. Er wird wissen wollen, wo es geblieben ist.«
»Ich bin verrückt nach dir, Kirsten.«
»Ich sehne mich auch nach dir, Angel. Aber ich muss zuerst das Armband wiederfinden.«
»Damit verdirbst du alles Kirsten. Denk jetzt bitte nicht an das Armband. Denk an uns. Ich kann kaum noch warten.«
Die Schwedin drückte Angel Carrona sanft von sich.
»Ich bin gleich wieder da. Ich gehe den Weg, den ich gekommen bin, nur noch einmal schnell zurück.«
»Muss das sein?«
»Ja, Angel. Du darfst inzwischen schon alle Vorbereitungen treffen. Alle, ja? Ich komme gleich wieder. Ich verspreche es. Und dann will ich dir gehören. Bedenkenlos.«
»Soll ich mit dir kommen?«
»Das ist nicht nötig, Angel.«
»Beeile dich.«
»Ich fliege.«
Kirsten Wolf eilte aus dem Zimmer. Als sie draußen war, hatte Angel Carrona plötzlich das Gefühl, nicht allein zu sein.
Etwas war hinter ihm.
Er fegte herum und starrte mit schreckgeweiteten Augen auf die im kalten Mondlicht schimmernde Garrotte, die vor ihm in der Luft hing…
***
Stimmengemurmel, Lachen, Musik, die typischen Partygeräusche füllten das große Haus des Industriellen.
Kirsten Wolf huschte den Korridor des Obergeschosses entlang. Ihre Augen waren aufmerksam auf den Boden geheftet. Sie suchte das Platinarmband nicht nur deshalb, weil es ein Geschenk von Herrmann war. Sie suchte es vor allem deshalb, weil sie an ihm hing, weil es ihr gefiel, weil es schwer gewesen war, es sich von Herrmann, dem Geizhals, zu erkämpfen. Wochenlang hatte sie darum betteln müssen. Wochenlang hatte er sie
Weitere Kostenlose Bücher