GK255 - Die Geisterrocker
vernasch sie nicht ganz.« Dann begab er sich nach nebenan.
Paul Pleaver brach in diesem Moment fast das Herz.
***
Das Böse hielt erneut inne.
Am Blumenkiosk stand ein junges Pärchen. Das Mädchen und der Junge waren im Partner-Look gekleidet. Beide trugen ein kariertes Hemd und weiße Jeans. John, so hieß der Junge, schmunzelte. »Ich weiß, es ist altmodisch, Baby, aber ich würde dir gern mal einen hübschen Strauß Blumen schenken.«
Sandy, ein blondes Ding mit lustigen Sommersprossen auf der kleinen Nase, kicherte. »Du hast Glück, Darling. Altmodisch zu sein ist gerade wieder ›in‹.«
»Dann wirst du die Blumen zu Hause nicht in den Mülleimer werfen?«
Sandy lachte amüsiert. »Du Dummkopf, denkst du, ich benütze meine Blumenvasen als Briefbeschwerer?«
Die Blumenfrau lächelte die Verliebten freundlich an. »Es ist herrlich, jung, gesund und verliebt zu sein.«
John schlang seinen Arm um Sandys Taille. »Das sind wir alles.«
»Das sieht man«, nickte die Blumenfrau. Wie graue Spinnweben lag das Gewirr von Falten auf ihrem Gesicht, das einstmal schön gewesen sein mußte. Sie hatte abgearbeitete Hände mit knotigen Fingern und trug eine blaue Schürze. Sämtliche Schnittblumen, die sie anzubieten hatte, steckten in Plastikeimern, die mit Wasser gefüllt waren. Mit Kreide war der Preis der Blumen darauf geschrieben. »Was darfs denn sein?«
John lächelte jungenhaft-verschmitzt. »Rote Rosen natürlich.«
Sandy lachte. »Natürlich, denn er liebt mich unsterblich. Vielleicht schaffe ich es sogar, daß er mich heiratet.«
»Wenn er Ihnen rote Rosen schenkt, dann schaffen Sie’s bestimmt«, sagte die Blumenfrau. Sie wollte wissen, wie viele Rosen es sein durften.
»Ein Dutzend«, sagte John, ohne zu überlegen.
»He, hast du eine Bank ausgeraubt?« fragte Sandy belustigt.
»Noch nicht«, gab John augenzwinkernd zurück. »Cary Grant und die anderen Charmeure im Film schenken ihren Mädchen auch immer ein Dutzend Rosen. Ich will nicht schlechter dastehen als sie.«
Sandy nahm die Rosen glücklich entgegen. »Oh, John, sie sind wunderschön. Sie sind das schönste Geschenk, das du mir jemals gemacht, hast.«
»Sie sollen dir sagen, daß ich verrückt nach dir bin«, sagte John und bezahlte die Blumen
»Vielen Dank«, sagte die Blumenfrau, und als das Pärchen weiterging, rief sie den beiden nach: »Viel Glück für die gemeinsame Zukunft! Ihr zwei paßt wirklich einmalig zusammen!«
»Nicht wahr? Sag’ ich auch«, gab Sandy kichernd zurück, stellte sich auf die Zehenspitzen und küßte John auf den Mund.
Die Blumenfrau seufzte. »So jung wäre ich gern auch noch mal.«
Das Böse hatte sich dem Blumenkiosk inzwischen bis auf einen Meter genähert. Die Frau gewahrte die seltsame Schwade. Sie roch den Schwefelgestank und schüttelte verwundert den Kopf. Nanu, woher kommt denn dieser üble Geruch? fragte sie sich. Aus dem Gully vielleicht? Kriegen wir Schlechtwetter?
Die Nebelwolke lag wie ein zum Sprung geducktes Tier auf dem Bürgersteig. Einen Moment lang hatte die Blumenfrau das Gefühl, von zwei pechschwarzen Augen angestarrt zu werden.
Das machte sie unruhig.
Sie bekam Angst, ohne sagen zu können, wovor sie sich fürchtete.
Ein unangenehmes Prickeln entstand in ihrem Nacken und rieselte über ihren Rücken. Sie schauderte und fröstelte.
»Nanu«, sagte sie zu sich. »Ich werde doch nicht krank werden?«
Das Unheil kroch auf den Kiosk zu.
Die Blumenfrau beobachtete das Treiben der unheimlichen Wolke mit starren Augen. Eine seltsame Bedrohung schien von diesem Nebelfetzen auszugehen.
»Nebel«, sagte die Frau verwirrt. »Nur diese eine Schwade… so etwas hat es in den zwanzig Jahren, die ich nun schon hier verbringe, noch nicht gegeben. Nebel hat es hier noch nie gegeben.«
Die Blumenfrau stellte fest, daß dieser graue Fetzen ein rätselhaftes Eigenleben führte. Er wurde nicht vom Wind bewegt, sondern bewegte sich von innen heraus - nach seinem eigenen Willen.
Die geheimnisvolle Schwade ließ sich auf die Schnittblumen nieder.
Die Blumenfrau vermeinte plötzlich, Stimmen zu vernehmen. Jemand beschimpfte sie: »Widerwärtiges Aas! Alte Hexe!«
Die Frau riß verdattert die Augen auf. »Das ist doch…!« Sie brach jäh ab. Etwas schnürte ihr die Kehle zu. Ihre Furcht wuchs. Ihr Herz klopfte hoch oben im Hals. Hier ging es nicht mit rechten Dingen zu. Sie wollte ihren Kiosk fluchtartig verlassen, doch eine unsichtbare Kraft zwang sie, zu bleiben, nagelte sie
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