GK453 - Wolfsmond
Blackburn wurde zum Werwolf!
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Charlotte Lane war in der Modebranche tätig. Sie entwarf für mehrere Warenhausketten tragbare Kleider und führte sie, wenn Not am Mann -oder, besser: an der Frau - war, auch selbst vor. Sie hatte eine Traumfigur mit festen, nicht zu großen Brüsten, einer schmalen Taille und sehr weiblichen Hüften. Zu Hause trug sie gern bequeme Hosenanzüge aus elastischem Stoff. Sie war rotblond, weltoffen und voll emanzipiert. Vermutlich hatten deshalb ihre beiden Ehen nicht gehalten.
Nach ihrer zweiten Scheidung hatte sie zu rauchen angefangen. Heute bereute sie das bereits, aber sie schaffte es nicht mehr, die Finger von den Zigaretten zu lassen.
Soeben zündete sie sich wieder ein Stäbchen an. Beunruhigt ging sie auf und ab. Paulas Stimme hatte so verzweifelt geklungen, daß sie ihr auf jeden Fall erlaubt hätte, zu ihr zu kommen. Auch dann, wenn sie sich gerade in Gesellschaft eines Mannes befunden hätte. Sie hätte den Typ aus ihrem Bett geworfen und nach Hause geschickt. Paula war ihr wichtiger als Männer.
Sie hatte sehr viel für sie übrig. In der Schule hatte sie immer von Paula abgeschrieben. Später waren sie zu viert mit Jungen ausgegangen. Wie Schwestern waren sie all die Jahre gewesen. Es hatte kein Problem gegeben, von dem die Freundin nichts gewußt hätte, und während der Depressionen nach ihren beiden Scheidungen hatte sich Paula in rührender Weise um sie gekümmert.
Hilfe muß auf Gegenseitigkeit basieren, sonst funktioniert das auf die Dauer nicht. Nun war wieder Charlotte an der Reihe, Paula beizustehen, und sie tat es gern.
Mit einem nervösen Blick streifte Charlotte die Keramik-Wanduhr. Paula hätte längst hier sein müssen. Sie wohnten nur ein paar Minuten voneinander entfernt. Für die kurze Strecke brauchte man nicht einmal einen Wagen.
Charlotte trat ans Fenster und schaute auf die Straße. Ein Auto rollte mit abgeblendeten Scheinwerfern die Fahrbahn entlang. Danach war die Straße wie ausgestorben.
Charlotte zog an ihrer Zigarette. Sie blies den Rauch durch die Maschen des Vorhangs gegen das Fensterglas. Wenn der Kerl seinen Anruf ernst gemeint hatte… Charlotte drehte sich rasch um. Unstet huschte ihr Blick umher. Der Mann konnte ganz aus der Nähe angerufen haben. In diesem Augenblick befand er sich vielleicht schon bei Paula. Ein perverses Schwein mit lüsternen Absichten.
Charlotte Lane schüttelte sich angewidert. Sie eilte zum Telefon und wählte die Nummer ihrer Freundin. Es läutete am anderen Ende des Drahtes, aber Paula hob nicht ab. Konnte sie nicht abheben? Hinderte dieser verflixte Kerl sie daran? Oder hob sie nicht ab, weil sie sich bereits auf dem Weg hierher befand?
Langsam ließ Charlotte den Hörer sinken.
Sie kehrte wieder ans Fenster zurück. Paula war noch nicht zu sehen.
Paula Blackburn. Charlotte lächelte schwach. Es hätte nicht viel gefehlt, und sie hätte diesen Namen bekommen, denn James Blackburn war hinter ihnen beiden hergewesen. Eines Tages - James hatte sich noch für keine von beiden entschieden gehabt -fragte Paula: »Wie findest du James, Charlotte?«
»Ganz amüsant.«
»Nicht mehr?«
»Er ist ein gutaussehender Mann, den man nicht zu verstecken braucht, aber er wirft mich nicht gleich aus den Schuhen.«
Paula hatte damals verlegen den Blick gesenkt und leise gestanden: »Ich glaube, ich liebe James.«
Von diesem Tag an war James Blackburn für Charlotte tabu gewesen, und kurz darauf hatten Paula und James geheiratet. Es war eine glückliche Ehe geworden, die Charlotte den beiden von Herzen gönnte.
Als Charlotte Lane die Zigarette fertiggeraucht hatte und Paula Blackburn immer noch nicht eingetroffen war, beschloß die besorgte Modezeichnerin, etwas zu unternehmen. Ihr erster Gedanke war, die Polizei anzurufen, doch dann entschied sie sich anders. Sie zog eine weiche hellgraue Rauhlederjacke an und verließ ihr Haus, um nach Paula zu sehen.
***
James ein Werwolf!
Paula Blackburn konnte es nicht fassen. Ihr Mann wurde zum Tier. So viele Jahre war sie mit ihm schon verheiratet. Sie hatte geglaubt, James in- und auswendig zu kennen. Nie im Traum hätte sie gedacht, daß er so ein schreckliches Geheimnis in sich barg.
Ein Wolf!
Ein reißender Wolf wurde aus ihm. Groß. Größer als er für gewöhnlich war. Und kräftig. Sein Brustkorb blähte sich, als würde er aufgepumpt. Das Hemd zerriß, und ein dunkel behaartes Fell kam zum Vorschein. An den Oberarmen platzten die Jackettnähte.
Aus James’
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