Glaenzende Geschaefte
seiner Pillendose und schüttelte sich eine der stumpfen weißen Tabletten in die Handfläche.
Kellermann schob langsam die Waffe wieder unter seinen Anzug und drückte die Zigarette aus. »Was ist das eigentlich, was Sie da schlucken?«
»Das ist Methylphenidat.«
Kellermann kam näher: »So was für Bekloppte, die ständig herumzappeln?«
Löhring versuchte, ruhig zu bleiben: »Aus meinem subjektiven Empfinden heraus kann ich sagen, dass es mir in gewissen Situationen hilft, die Anforderungen sozialverträglicher zu bewältigen. Sozusagen als Zugeständnis an eine Gesellschaft, die nicht so ist wie ich. Schließlich kann nicht jeder so sein.«
»Wie, die Gesellschaft?«
»Nein, wie ich.«
Kellermann ließ sich in den Sessel neben Löhring fallen. »Toll. Ganz toll. Vorbestrafter, übergewichtiger Kettenraucher und hyperaktiver Tabletten-Junkie, beide ohne Kohle, machen ihren ersten Deal. Klingt gut. Und welche Krankheit hat Winter?«
»Er ist Autist.«
Kellermann hielt sich den Bauch vor Lachen und hörte erst auf, als Löhring die ersten Fonds-Modelle vor ihn auf den Tisch knallte. »Lesen. Sofort. Ich sehe Sie in zwanzig Minuten.«
»Wie soll das denn gehen? Das sind mindestens achtzig Seiten!«
»Speedreading, Kellermann. Speedreading. Konstanter Drang nach vorne. Den Text loslassen. Fehler zulassen. Wenn Sie nachher zwanzig Prozent behalten haben, reicht das völlig.«
Zwanzig Minuten später war Kellermann bei geschätzten zwei Prozent. »Das kapiert doch kein Mensch! Sie können mir doch nicht erzählen, dass Keschs Anleger das gerafft haben?«
Löhring grinste: »Sie halten uns vielleicht für bekloppt, Kellermann. Aber blöd sind wir nicht! Es gibt GVV-Verträge, die Kesch nie unterzeichnet hat! Noch nicht einmal das ist aufgefallen. Und Sie reden von Inhalten.«
»Vielleicht will Winter was ganz anderes, und ich habe mir diesen Scheiß umsonst zu Gemüte geführt.« Kellermann ließ die Papiere auf den Tisch fallen und sich selbst in einen Sessel. »Woher kennen Sie diesen Typen überhaupt?«
Löhring blickte auf die Uhr. Sie würden nicht mehr viel Zeit haben. »Winter? Den kenne ich schon lange. Ich weiß, was der im Schilde führt. Der wird sich nie ändern, sage ich Ihnen. Vor St. Ägidius nicht und danach erst recht nicht.«
»St. Ägidius?«, hakte Kellermann nach.
Shit, dachte Löhring, grinste eine Weile und sagte dann: »Sie sind kein Alpinist, Kellermann, was?« Er lehnte sich zu ihm hinüber und erklärte: »St. Ägidius, das ist ein Dreitausendsechshunderter in den Ötztaler Alpen in Tirol. Da war ich klettern mit Winter und einigen anderen Wirtschaftsgrößen.«
Kellermann guckte. »Sie fahren mit denen in den Urlaub?«
»Nein, gehört zum Job. Muss man machen ab und zu.« Löhring überlegte und fügte hinzu: »Senkrecht gegen die Zeit sozusagen, völlig abgekapselt vom Alltag, keine Handys. Schöne Sache. Ist gut für die Gesundheit.«
Kellermann schien keinen Verdacht zu schöpfen, rollte die Augen und zündete sich wieder eine Zigarette an. Er wollte das Thema Bergsteigen wohl tatsächlich nicht weiter vertiefen. »Und wie soll das jetzt gehen mit diesem blöden Termin?«, fragte er.
Löhring musste zugeben, dass Winter als Kunde wahrlich eine Herausforderung war. Er hätte sich und Kellermann eine andere Premiere gewünscht, aber es half nichts. »Kellermann, normalerweise kommt es nicht darauf an, was Sie sagen, sondern wie Sie es sagen, wie Sie sich fühlen, wenn Sie etwas sagen. Wie Sie gucken. Keine Geschichte ohne Gesicht. Verstehen Sie mich?«
»Nein.«
»Schön. Denn bei Winter ist es genau andersherum. Er hat es nicht so mit Gesichtern.«
»Wie, jetzt?«
»Na, er sieht keine Menschen, sondern nur Muster. Bei dem müssen Sie sich also um einen sachlichen Ton bemühen. Darauf fällt er am ehesten herein. Beobachten Sie ihn ganz genau, versuchen Sie, sein Verhalten zu antizipieren, seine Schwächen herauszufiltern. Beobachten Sie, Kellermann, beobachten Sie. Und sagen Sie immer ›Ich‹. Denken Sie nie laut, sprechen Sie ungefragt nie negativ über sich, unterbrechen Sie ihn, egal, mit was, punkten Sie mit Zahlen.«
»Mit welchen Zahlen denn?«
»Herrje, Sie können doch bis zehn zählen, oder?«
»Das merkt der doch!«
»Winter denkt so schnell, dass er nicht zuhören muss. Das merkt der nicht.«
»Ich kann das nicht allein.«
Löhring peitschte jetzt verbal auf Kellermann ein: »Hier geht es nicht um Fachwissen, hier geht es um Leadership, Mann! Sie
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