Glaenzende Geschaefte
müssen erst einmal Ihr persönliches Organigramm aufstellen.«
»Mein Organigramm?« Kellermann zog sich die Schuhe aus.
»Sie lassen jetzt die Schuhe an, verdammt noch mal!«, schrie Löhring ihn an. Kellermann war ein verdammter Noppensocken-Läufer. Er hatte es gleich gewusst. »Sie müssen jetzt irgendwie ran an Winter, ein paar Systemfragen stellen, checken, was er tatsächlich will, welche Interessen er verfolgt, mit wem oder gegen wen er arbeitet, wie er Sie unterstützen, wie er Sie behindern kann, wie der Deal aussehen könnte. Ganz einfach.«
»Warum machen Sie das alles nicht gleich selbst? Ich weiß nicht, wie man mit Autisten umgeht.«
»Mensch, Sie kommen doch aus dem Knast, oder? Und sehe ich so aus wie Kesch? Bei Winter halte ich mich erst mal raus. Der Typ hat Kohle, Kellermann. Da müssen Sie ran. Ich bin im Nebenzimmer, wenn er kommt. Keine Sorge, ich bleibe in Ihrer Nähe.«
Es klingelte.
Löhring konnte Kellermann gerade noch, sozusagen als Insignien seiner neuen Rolle, die Brille auf die Nase schieben und den Siegelring aufquetschen. Dann wankte dieser als Manager und Anlageprofi zur Tür. Löhring blickte ihm nach. Die Ähnlichkeit mit Kesch war zu schön, um wahr zu sein.
Kellermann drehte sich noch einmal kurz zu Löhring um und sagte: »Ich bin und bleibe Kellermann. Und die Knarre habe ich auch noch. Ist das klar?«
Er verschwand im Flur, und Löhring verzog sich ins Nebenzimmer. Kellermann würde beim Erstkontakt nicht gut sein. Aber das war Kesch auch nie gewesen. Doch dessen Verkommenheit war wenigstens nicht so zart gewesen wie die von Kellermann.
Löhring huschte ins Esszimmer, lehnte die Tür nur an und versuchte, durch den Spalt zu spähen, als käme das Christkind.
Kellermann betrat mit Keith Winter im Schlepptau das Arbeitszimmer. Er war es tatsächlich, ohne Zweifel: kaum gealtert, dieselbe drahtige Gestalt, dasselbe Gesicht mit allem, was dazugehörte, außer einem Ausdruck. Der schwarze Anzug überdem weißen, offenen Hemd stand ihm gut, das musste Löhring zugeben. Alles an ihm hatte eine so stilvolle Unaufdringlichkeit, der man sich nicht entziehen konnte. Kellermann würde mit Sicherheit auf Winter hereinfallen, dachte Löhring, sich verwirren lassen von seiner Bravheit, der leisen Stimme, davon, wie er den Kopf schräg legte, wenn er etwas sagte, von seiner Sachlichkeit und Intelligenz. Dass Winter sich an keine einzige Regel hielt und bei allem bis ans Limit ging, weil er kein Sättigungsgefühl kannte, konnte Kellermann unmöglich ahnen.
Kellermann bot Winter einen Platz auf der kleinen Chesterfield-Garnitur an. »Mögen Sie eine Kleinigkeit, Kaffee oder Tee?« Junge, Junge, dachte Löhring, Kellermann sollte bloß nicht so auf die Sahne hauen.
»In meinem Leben gibt es keine Kleinigkeiten«, sagte Winter. Er stand da wie ein Jockey, dem gerade das Pferd abhandengekommen war, und ließ den Blick durch den Raum schweifen. Ihm würde nichts entgehen, nicht die geordneten Tageszeitungen auf dem Tisch, nicht das gebrauchte Papiertaschentuch hinter der Vase auf der Fensterbank, nicht der zweite Knopf von oben an Kellermanns Oberhemd, der nicht im dafür vorgesehenen Knopfloch saß. Aber dass Kesch nicht Kesch war, dass etwas faul war an dem Menschen, der ihm da gegenübersaß, das merkte Winter offensichtlich nicht. Gesichter und Gesten waren seine Sache nie gewesen, alles Nonverbale, alle Zwischentöne waren wie ein Code, den er nicht zu lesen vermochte. Und welchen Deal auch immer er plante: Winter würde bis ans Ende seiner Tage abhängig sein von Menschen mit Gespür. Was für ein Glück.
Winter setzte sich und strich mit der flachen Hand über die Fläche des kleinen Glastischchens vor ihm. »Etwa siebzig Prozent aller Lebewesen sind Bakterien.«
Ja, er war noch ganz der Alte. Löhring grinste.
»Oh, da haben wir ja noch einmal Schwein gehabt, nicht wahr?« Kellermann konterte clever.
»Das ist nicht sicher. Wissen Sie, aus wie vielen Bakterien Sie bestehen?«
Kellermann wollte sich in den anderen Chesterfield fallen lassen, tastete sich vor und traf die Fläche nur mit Mühe. Die Dioptrie-Zahl der kleinen Brille mit den runden Gläsern schien recht hoch zu sein. Mein Gott, er braucht dringend Fensterglas für die Fassung, dachte Löhring.
Kellermann erinnerte sich wohl daran, dass er auf jeden Fall erst einmal reden musste. »So. Herr Winter. Keith? Wir waren doch beim Du?«
»Ich duze niemanden.«
»Ach. Ja. Ich vergaß. Also. Was können wir, also,
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