Glaenzende Geschaefte
von der Erde. Was man nicht alles anstellte, um mit seinem Chef ins Gespräch zu kommen, dachte sie. »Aber die Käfer können die Kugel doch praktisch überall hinrollen. Wozu müssen sie sich orientieren? Sie haben doch kein Zuhause, oder?«
Winter erhob sich und rollte seine Matte ganz langsam und sorgfältig mit kräftigen, zielgenauen Bewegungen auf. Miranda beobachtete ihn, starrte auf die Matte, dann zurück auf die Erde und bemühte sich, alles sachlich zu sehen. Rein sachlich. Hier war ein Mann mit einer yogamatte, der Käfer auf Scheißkugeln tanzen ließ und damit das große Geld machen wollte. Warum auch nicht? Normal. Völlig normal. Er war wohl auch nur ein Gefangener seiner selbst. Wie sie alle.
Winter kehrte ihr den Rücken zu und lief Richtung Ausgang: »Die Tiere müssen sich orientieren, um zu vermeiden, versehentlich zu dem Dunghaufen zurückzukehren, aus dem sie die Kugel geformt haben. Dort lauert nämlich die Konkurrenz, die lieber fertige Kugeln klaut, als eigene anzufertigen. First come, first serve. Ist wie bei uns, Beck. Und jetzt Taxi rufen.«
Löhring hatte derweil bei IB Invest Busters in London angerufen und versichert, seine kleine Auszeit habe ihm ganz zufällig die Aussicht auf ein vielversprechendes Mandat mit Triple-A-Synergie-Aussichten für IB beschert. Zwar sei ihm eine kleine Entführung dazwischengekommen, aber die habe er recht schnell abwickeln können. No worry. Die Erholung laufe praktisch nebenbei, und er würde sich in Kürze mit weiteren To-dos melden. Man hatte keinen Verdacht geschöpft. Wie auch? Löhring war schon wieder mitten in einem Deal, und in solchen Fällen galt es, den Chef erst einmal machen zu lassen und selbst unverfänglich auf Abstand zu gehen.
Jetzt also Winter. Allein mit ihm würde Löhring schon genug zu tun haben. Was wollte der? Vielleicht war das alles doch kein Zufall? Seit der gemeinsamen Zeit in St. Ägidius hatte er nichts mehr von ihm gehört. Er schien untergetaucht zu sein, bewegtesich nicht mehr in der Community, hatte wahrscheinlich nie so recht dazugehört. Er war ein Nerd, Mathematikgenie und ehemaliger Star der Investmentbanker-Szene – einer dieser einsamen Wölfe, die in den neunziger Jahren aufgetaucht waren, die keiner Klettergruppe angehörten, die beim Skilaufen uneinholbar waren und alle anderen wie Deppen aussehen ließen. Einer, der nur Wasser trank.
Aber seit St. Ägidius wusste dieser Typ eben auch Dinge, die kein anderer über Löhring wusste. Und damit hatte er Erpressungspotential – High Conflict Potential in personam sozusagen. Das einzig Tröstliche war die Tatsache, dass Winter selbst einen Befund hatte, und damit ließ sich wohl einigermaßen spielen, hoffte Löhring. Winter hatte auch immer so schräg geguckt, in einer seltsamen Mischung aus Schlaganfall und krankhafter Introvertiertheit. Sein eigentliches Unglück hatte man stets auf den ersten Blick erahnen können, und an anderen Orten hätte er Körbe geflochten. Dagegen war er, Löhring, auch rein äußerlich unversehrt geblieben, und die Welt mochte ihn küssen dafür.
Als Löhring vor Keschs Villa fuhr, empfing ihn wieder ein kleiner Wachtrupp. Ilse Kesch schien auf Nummer sicher gehen zu wollen mit Kellermann allein im Haus. Was für eine ausgebuffte Frau, dachte Löhring, als er seinen Wagen vor den Stufen abstellte und so schwungvoll drei Stufen auf einmal nahm, dass er fast in die Ballhortensien vor dem Eingang gefallen wäre. Seit er Kesch kannte, war dies das erste Mal, dass Löhring klingeln musste. Unter normalen Umständen wäre selbst die Farbe seiner Socken noch vor Erreichen der ersten Stufe eingescannt gewesen, und Kesch hätte bereits lächelnd in der Tür gestanden und seine fetten, warmen, weichen Arme einladend ausgebreitet – wie er es immer getan hatte für alle vermögensüberlasteten Seelen dieser Welt.
Nun öffnete Kellermann nach dem dritten Klingeln. Ein Vogel erschrak und flog mit eitlem Geschnatter in den Gipfel dernächsten Himalaya-Zierzypresse, während es Löhring die Sprache verschlug: Der Knacki trug einen von Keschs seidenden Morgenröcken, der an ihm genauso geschmacklos aussah wie an seinem echten Besitzer. Das war jetzt wirklich Proll. Kellermanns nackter, muskel- und fettbepackter Körper war darunter erahnbar bis zur Obszönität, fand Löhring.
Kellermann drehte sich einmal um die eigene Achse. »Na, hat was von Samurai, oder?«
»Nein, eher Castrop-Rauxel.« Löhring drängte sich an Kellermann vorbei in
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