Glaesener Helga
er auf dem Kutschbock sitzen, denn er wollte auf der Stelle weiter nach Buggiano, um seinen Sbirro aus dem Kerker zu holen.
Cecilia küsste die schlafende Dina und schickte Anita heim. Die nächsten Stunden, in denen sie auf den Giudice wartete, wurden lang. Ihr fielen tausenderlei Möglichkeiten ein, was ihm zustoßen könnte, wenn er in Luporis Wohnung eindrang und sich mit ihm anlegte. Der Giusdicente war unberechenbar, wenn er sich in die Ecke gedrängt fühlte, das wusste man ja nun. Er schreckte vor nichts zurück. Und wenn Rossi stattdessen ihm an die Gurgel ging?
Das Summen in den Ohren machte sie verrückt. Sie stand auf und ging durch die dunklen Zimmer. Schließlich setzte sie sich auf Rossis Balkon und starrte in die Nacht hinaus. Talabwärts zwischen den Bäumen lag das Asyl, und sie dachte daran, dass sie Vincenzo zu unrecht verdächtigt hatte. Er hatte ihr also tatsächlich nur Angst einjagen wollen mit seinem Gebell. Mistkerl, irr oder nicht! Hölle, brummte ihr Schädel … Sie kehrte ins Haus zurück.
Endlich klapperten die Kutschräder.
Rossi und Bruno kamen ins Speisezimmer, und beide sahen schrecklich aus. Rossi setzte sich ohne ein Wort in seinen Sessel. Bruno blieb stehen. Er schien in den wenigen Tagen, die er im Kerker des Giusdicente zugebracht hatte, um Jahre gealtert. Seine Schweinsäuglein waren in den Tränensäcken versunken. Die Haut schien trocken und fahl. In den eingefallenen Wangen hatte sich Schmutz und etwas Dunkles, was Cecilia für getrocknetes Blut hielt, festgesetzt. Er hatte beide Hände bandagiert. Unglücklich blieb er vor Cecilia stehen, blickte zu Rossi und dann zu Boden. »Es ist schön, Sie wieder hier zu haben«, sagte sie. Ein Knoten schnürte ihr den Hals zu. Bruno hatte mit der Sache zu tun gehabt. Sie hatte es immer gewusst. »Ich kannte die beiden.«
»Die Komödianten?«, fragte Cecilia.
»Von früher.« Wieder schaute der Sbirro zu Rossi, wieder senkte er schambeladen vor dem eisigen Blick das Gesicht. »Wir waren in einer … einer Bande, … bevor ich den Giudice … Ich meine, bevor ich beschlossen hatte … Bevor er mir geholfen hat …« »O Bruno!«
»Der Arlecchino und seine … seine … also das Mädchen … Sie waren Schauspieler, … harn aber gestohlen und wurden ausgepeitscht … und dann warn sie in der Bande … und irgendwie … Ich dachte, sie wärn tot. Aber dann sind sie hierher gekommen. Ich hab den Arlecchino in Buggiano gesehen, das war um Weihnachten, aber da dachte ich, ich hätt mich geirrt. Und dann kamen sie mit den Schauspielern, und … Ich weiß, ich hätt was sagen müssen … gleich da, … aber sie ham mich auch erkannt. Und sie ham gesagt, wenn ich was sage … Ich hatte Angst …«
Cecilia schaute in das verwüstete Gesicht.
»Es wär mir schrecklich gewesen, wenn Ihnen was geschehen wäre, Signorina, wirklich. Das wollte ich nicht … Aber ich wusste ja nichts Genaues …«
Geahnt hast du’s, dachte Cecilia. Und damit war er schuldig. Er hatte Leo ans Messer geliefert. Und Feretti. Er trug durch sein Schweigen die Mitschuld an wenigstens zwei Morden.
»Ich geh dann nach Hause.«
»Ja, Bruno, tun Sie das.«
Cecilia hörte zu, wie die Haustür ins Schloss fiel. Ihr tat der Magen weh vor Mitleid. »Wenn er aussagt«, fragte sie Rossi, »würdest du Lupori dann überfuhren können?«
»Nein. Er taugt nichts als Zeuge.«
Natürlich nicht. Jedem war klar, dass der Sbirro Lupori hassen musste. Außerdem käme bei einer Aussage unweigerlich seine eigene zwielichtige Vergangenheit ans Licht. Lupori könnte sich herauswinden. Er käme auf jeden Fall davon.
Rossi stand auf. »Ich bin müde.«
Sie folgte ihm, als er das Zimmer verließ und die Treppe hinaufging und sein Schlafzimmer betrat. Stumm sah sie zu, wie er sich auf das Bett legte, inzwischen empfindungslos für die Schmerzen, die die Striemen und Smeraldinas Schlag ihm bereiten mussten, oder im Gegenteil im selbstquälerischen Wunsch, sie zu erdulden. Sie ging zu ihm und hockte sich neben das Bett. »Er hat falsch gehandelt, aber er hat dafür gelitten.«
»So ist es wohl.«
»Das Gesetz hat nicht die Macht, jedes Unrecht zu sühnen. Weil wir doch alle Menschen sind, und … was Menschen tun, lässt sich nicht immer mit Paragraphen bewerten.«
»Geh jetzt.«
Sie seufzte. Rossi hatte das Gesetz verletzt, als er seinen Granduca beleidigte. Er hatte das Gesetz erneut verletzt, als er Francesca gehen ließ, obwohl sie die Mörder, zumindest Smeraldina, ohne Not umgebracht hatte.
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